BERLIN (dpa-AFX) - Nach jahrelangem Wachstum um jeden Preis will der Essenslieferdienst Delivery Hero
Die neu ausgerichtete Strategie kam bei Anlegern zumindest sehr gut an: Bis zum späten Nachmittag sprangen die Delivery-Hero-Papiere um bis zu rund 20 Prozent nach oben und markierten den höchsten Stand seit Wochen. Seit dem Jahreswechsel hat das Papier aber immer noch einen Wertverlust von fast der Hälfte zu beklagen.
Für das laufende Jahr soll nun nur noch einen Fehlbetrag vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Sondereffekten (bereinigtes Ebitda) von 0,9 bis 1,0 Prozent des Bruttowarenwerts verbucht werden, teilte das im MDax
Allerdings dürften sowohl Bruttowarenvolumen (GMV) als auch Erlös niedriger ausfallen als bislang vorhergesehen. Das Management geht nur noch von einem Gesamtumsatz der Segmente von 9,0 bis 9,5 Milliarden Euro aus, nach zuvor prognostizierten 9,5 bis 10,5 Milliarden Euro. Auch das Bruttowarenvolumen dürfte mit 41 bis 43 Milliarden Euro niedriger ausfallen als zunächst mit 44 bis 45 Milliarden Euro in Aussicht gestellt.
Rein rechnerisch dürfte sich für das laufende Jahr nun ein operativer Verlust von 369 bis 430 Millionen Euro ansammeln. Das wäre deutlich weniger als bisher angenommen, allerdings auch noch ein großes Stück von dem von Anlegern und Analysten langersehnten Erreichen der Profitabilitätsschwelle entfernt.
Nicht in dieser Prognose enthalten ist der spanische Zukauf Glovo, für den Delivery Hero zudem einen niedrigeren Verlust erwartet als zunächst geplant. Hier dürfte der operative Fehlbetrag mit 300 Millionen Euro nun gut 9 Prozent niedriger ausfallen, während das Bruttowarenvolumen verglichen mit dem Vorjahr weniger stark wachsen dürfte.
Die Akquisition der Spanier hatte bei Anlegern und Branchenexperten Kopfschütteln hervorgerufen und die Delivery-Hero-Aktie auf eine steile Talfahrt geschickt. An nur einem Tag verloren die Papiere gut 30 Prozent an Wert und markierten einen der größten prozentualen Tagesverluste einer Aktie in der Geschichte des Dax. In der Folge strichen zahlreiche Analysten dann auch ihre Kaufempfehlung, Delivery Hero stieg zudem in den MDax ab.
Denn sowohl Glovo als auch das Geschäftssegment Quick Commerce, also die Zustellung von Supermarkt- und Drogerieartikeln innerhalb von wenigen Minuten bis an die Haustür, verschlingen nach wie vor Millionen an Investorengeldern. Kritiker monierten, Delivery Hero habe sich mit Glovo einen Klotz ans Bein gebunden, obwohl die schwarze Null zum Greifen nah gewesen wäre. Konzernchef Östberg entgegnete ihnen, dass das Investment langfristig Sinn ergeben würde - bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Manager stets sein Credo "Wachstum statt Profitabilität" verfolgt. Im Raum stand auch die Frage, wie ausstehende Wandelanleihen refinanziert werden sollen und wie die Kapitalausstattung des Unternehmens aussieht.
Erst in den Wochen darauf wechselte das Management seine Strategie und kündigte Anfang April an, 2023 erstmals auf Konzernebene operativ profitabel sein zu wollen - inklusive Glovo. Zudem kündigte es an, sich Finanzmittel im möglichen Gesamtwert von rund 1,4 Milliarden Euro gesichert zu haben. Einen Teil will Östberg nun in den kommenden Monaten bereits nutzen, um bis zu zehn Prozent seiner 2024 fälligen Wandelanleihen zurückzukaufen. Dabei wolle das Management bis zu 85 Millionen Euro in bar exklusive aufgelaufener Zinsen in die Hand nehmen, hieß es am Freitag. Die Papiere sollen eingezogen werden. Die Frist für die Transaktion laufe voraussichtlich bis 30. September. Weitere Rückkäufe seien derzeit nicht geplant.
Im zweiten Quartal unterdessen stieg das Bruttowarenvolumen vorläufigen Zahlen zufolge um fast ein Fünftel auf 9,9 Milliarden Euro, der Gesamtumsatz der Segmente nahm um 38 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro zu. Das lag den Angaben zufolge leicht unter den Markterwartungen.
Die bereinigte operative Marge (Ebitda) verbesserte sich um einen Prozentpunkt auf minus 1,4 Prozent. Dies sei auf die starke Entwicklung des traditionellen Essensliefergeschäftes zurückzuführen: Im Mai und Juni sei das Segment bereits an der Schwelle zu einem operativen Gewinn gewesen.
Neben Zugewinnen von Marktanteilen in "allen wichtigen Regionen" lag das auch an gekürzten Marketingbudgets. So gab das Unternehmen weniger Geld für Werbung und Gutscheine aus. Das dürfte sich auch positiv auf den gesamten Sektor auswirken, kommentierte Goldman-Sachs-Analyst Rob Joyce.
Wie die reduzierten Werbeausgaben zu deuten sind, ist aber unklar. Zwar könnte es sein, dass Delivery Hero nicht zwingend mehr Geld für die Aufmerksamkeit von Kunden hinlegen muss und diese ohnehin bestellen. Der niedriger als erwartet ausgefallene Segmenteumsatz sowie der Bruttowarenwert deuten allerdings darauf hin, dass Verbraucher ihr knappes Budget zusammenhalten wollen - und Delivery Hero habe unter dem Sparzwang schwer gelitten, interpretierte Analyst Marcus Diebel von JPMorgan. Demnach dürfte Delivery Hero die Werbegelder eher reduziert haben, weil diese sich nicht positiv auf die Geschäftsentwicklung auswirken. Die ausführlichen Zahlen will Delivery Hero am 16. August veröffentlichen./ngu/nas/men