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01.12.2022
um 19:15 Uhr

Seltene Eintracht, Kommentar zum Ceta-Handelsabkommen von Stefan
Reccius
Frankfurt (ots) - Gewöhnlich reiben Politiker der Sozialdemokraten und
Wirtschaftsvertreter sich mit Vorliebe aneinander, einer Meinung sind sie
selten. Umso bemerkenswerter, was mit Blick auf das EU-Freihandelsabkommen mit
Kanada zu beobachten ist: Die Ratifizierung von Ceta durch den Deutschen
Bundestag sei "überfällig", geben wortgleich Industriechef Siegfried Russwurm
und der oberste Handelspolitiker im EU-Parlament, Bernd Lange von der SPD, zu
Protokoll. Mit dem Chef des Außenhandelsverbands BGA, Dirk Jandura, wiederum ist
SPD-Politiker Lange einer Meinung, dass Ceta insbesondere für kleine und
mittelständische Unternehmen ein Segen ist.

Überdeutlich zeigt diese seltene Eintracht, dass die Hängepartie eine Farce
gewesen ist. Seit mehr als fünf Jahren ist Ceta reif zur Ratifizierung. Die
große Koalition aus Union und SPD hat sich nicht herangetraut, weil die
Vorbehalte in der Bevölkerung zu groß schienen. Teile der Grünen gehören seit
jeher zu erklärten Gegnern. Wirtschaftsminister Robert Habeck nimmt für sich in
Anspruch, in Brüssel Klarstellungen zum Investitionsschutz erwirkt zu haben. Das
ist kaum mehr als parteipolitische Folklore, um die eigene Basis gnädig zu
stimmen. Kollege Lange von der SPD, nicht gerade als Verfechter eines zügellosen
Freihandels zulasten der kleinen Leute bekannt, findet das Investitionskapitel
in Ceta jedenfalls seit jeher "solide".

Dass SPD und Grüne sich nun doch trauen, zusammen mit der FDP Fakten zu
schaffen, liegt deshalb vermutlich auch an einem weiteren Umstand: Der
Sicherheitsabstand zu den gescheiterten TTIP-Verhandlungen mit den USA ist groß
genug. Die endeten vor sechs Jahren nach Massenprotesten in Deutschland und der
Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Fiasko. Die Nichtratifizierung von Ceta
war damals eher ein Kollateralschaden.

Dass die Ampel sie nun nachholt, ist ebenso naheliegend wie zwangsläufig. Mit
wem sollte Deutschland künftig überhaupt noch mehr Handel treiben, wenn nicht
mit einer lupenreinen Demokratie wie Kanada? Die Nordamerikaner stehen nicht nur
für die gleichen hehren Werte in der Klimapolitik, sondern auch als Lieferant
von Rohstoffen und als Partner bei Zukunftstechnologien parat. Man denke an
Nickel, Kobalt und Wasserstoff - und das Schlagwort Energiewende.

In Teilen findet Ceta ohnehin längst Anwendung. Hauptsächlich hat die
Entscheidung daher Signalwirkung: Mit Deutschland ist in der Handelspolitik
wieder zu rechnen. Das ist dringend nötig in einer Zeit, da mit den USA ein
Subventionswettlauf um E-Autos und Halbleiter Gestalt annimmt. Ein neuer Anlauf
für Handelsgespräche mit den USA ist unumgänglich. Die Ratifizierung von Ceta
ist die Ouvertüre.

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