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ROUNDUP/CPTPP: London feiert größten 'Brexit-Sieg' - doch was ist er wert?

31.03.2023
um 14:15 Uhr

LONDON (dpa-AFX) - London liegt wirtschaftlich künftig am Pazifik: Tausende Kilometer entfernt sucht das Vereinigte Königreich sein Handelsglück. Die britische Regierung nannte den Beitritt zum Pazifik-Handelspakt CPTPP am Freitag den größten Deal seit dem Brexit. "Mehr Handel, weniger Zölle, eine wachsende Wirtschaft", jubelte Premierminister Rishi Sunak. "Das ist es, was wir erreichen können, wenn wir die Vorteile des Brexits entfesseln."

Die Mitgliedschaft werde die britische Wirtschaft langfristig um 1,8 Milliarden Pfund (2,05 Mrd Euro) ankurbeln, so die Regierung. Doch Kommentatoren zeigten sich unbeeindruckt. Die Wirtschaftsleistung steige dadurch über zehn Jahre gerade einmal um 0,08 Prozent, betonte die Handelsexpertin Minako Morita-Jaeger von der Universität Sussex. Zum Vergleich: Der Austritt aus der EU reduziert nach Schätzungen der Aufsichtsbehörde OBR das Bruttoinlandsprodukt um 4 Prozent.

Mit neun der elf CPTPP-Mitglieder hat Großbritannien bereits Freihandelsabkommen geschlossen, darunter mit den Schwergewichten Japan, Kanada, Singapur und Australien. Neu hinzu kommt nun weitreichende Zollfreiheit beim Warenaustausch mit Malaysia und Brunei, deren Anteil am britischen Außenhandel bisher 0,33 Prozent ausmacht.

Die Brexit-Befürworter argumentieren, dank des EU-Austritts sei Großbritannien wieder eine freie Handelsnation, die als "Global Britain" selbstständig Verträge abschließen könne. Allerdings ist der Handel mit der EU eingebrochen, seitdem Großbritannien nicht mehr Mitglied des EU-Binnenmarkts und der -Zollunion ist. Grund sind neue bürokratische Vorschriften und Zölle bei bestimmten Warengruppen.

Vorteile bringt der CPTPP-Deal für britische Whiskyexporte sowie für Importe von vietnamesischem Reis und peruanischen Bananen. Andererseits könnte der Import von günstigem Fleisch die britischen Landwirte verärgern - schließlich hat Großbritannien bei den Abkommen mit Australien und Neuseeland bereits massive Zugeständnisse bei der Landwirtschaft gemacht, die nun Kanada ebenfalls einfordern könnte.

Zudem bringt die CPTPP-Mitgliedschaft die konservative Regierung in eine rhetorische Zwickmühle. Im Interview mit dem Sender Sky News lobte Handelsministerin Kemi Badenoch, die Stärke des Handelspakts liege in seiner Größe. "Man schafft Synergien", sagte Badenoch - der plötzlich zu dämmern schien, dass sie damit Argumente von Brexit-Gegnern ins Feld führte. Die Anti-Brexit-Kampagne "Best for Britain" betonte umgehend, die Regierung prahle mit dem Beitritt zu einem Handelsblock, während Millionen Menschen und Tausende Unternehmen noch immer mit den Folgen eines "verpfuschten Brexit-Deals" zu kämpfen hätten. Vielmehr drohe nun, dass Standards etwa bei Umwelt und Lebensmitteln verwässert würden.

Von den Hardcore-Brexiteers in seiner Konservativen Partei, denen die politische Gemeinschaft der EU stets ein Dorn im Auge war, erhält Premier Sunak hingegen breite Zustimmung. Das CPTPP sei völlig anders aufgestellt als die EU, schrieb der frühere Brexit-Minister David Frost in der Zeitung "Telegraph". "Es gibt kein eigenes Parlament oder Gericht, Mitgliedern werde keine Gesetze auferlegt, und es konzentriert sich auf die Öffnung von Märkten, nicht auf Harmonisierung und Integration", betonte Frost. Auch wenn Handelsexperten es als weniger wertvoll einstufen würden: "Ich persönlich bevorzuge Freihandel plus nationale Souveränität."

Der wahre Nutzen ist ohnehin nicht wirtschaftlich. Analysten des konservativen Blogs CapX lobten den Beitritt zum CPTPP als "seismisch wichtiges geostrategisches Ereignis". Es gehe vor allem darum, den Einfluss Chinas in der boomenden Region einzudämmen, die oft als "wirtschaftliches Powerhouse" beschrieben wird. Auch Handelsexpertin Morita-Jaeger betonte, Londons Mitwirken in der Region stärke gemeinsame Werte wie Demokratie und regelbasierten Handel.

Die Zeitung "Daily Mail" spekulierte bereits, der britische Beitritt könne sogar das Interesse der USA an einer CPTPP-Mitgliedschaft wiedererwecken - und schließlich den von London seit langem erhofften Freihandel mit Washington den Weg bereiten. Die USA waren unter Ex-Präsident Barack Obama die treibende Kraft hinter dem damals TPP genannten Handelsabkommen, das als Gegengewicht zur wirtschaftlichen Macht Chinas etabliert werden sollte. Sein Nachfolger Donald Trump hatte jedoch kein Interesse daran und beendete die Gespräche./bvi/DP/nas