BERLIN (dpa-AFX) - Der Kochboxen-Versender Hellofresh
"Unserer Meinung nach ist die Glaubwürdigkeit der Konzernprognosen ernsthaft beschädigt", schrieb Analyst Simon Baker von französischen Bank Societe Generale. In den vergangenen Monaten habe das Management seine Ziele immer wieder bekräftigt, nur um diese dann kurze Zeit später einzukassieren. Baker bezweifelt, dass Hellofresh das Vertrauen seiner Anleger in nächster Zeit wiederherstellen kann. Nun strich er seine Kaufempfehlung für die Aktie.
Analyst William Woods von Bernstein Research deutete die Warnung vom Donnerstagabend als weitere Bestätigung seiner Annahme, dass Hellofreshs Geschäftsmodell an sich schwach sei. So hänge das Umsatzwachstum von stark vergünstigten Werbeangeboten ab. Zudem dürfte die Glaubwürdigkeit unter den Aussagen der Konzernspitze erneut leiden.
Am Donnerstagabend hatte Hellofresh in Berlin mitgeteilt, dass die Mittelfristziele unwahrscheinlich zu erreichen seien. Bislang hatten sich Konzernchef Dominik Richter und Finanzchef Christian Gärtner bis 2025 einen Umsatz von zehn Milliarden Euro auf die Fahne geschrieben. Zehn Prozent davon - oder eine Milliarde Euro - sollten als um Sondereffekte bereinigtes Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) übrig bleiben. Von einer neuen Mittelfristprognose oder einer Ansage, wann die bislang genannten Ziele für 2025 erreicht werden sollen, fehlt jede Spur.
Konzernchef Richter baut weiter auf den Hoffnungsträger Ready-To-Eat, das Segment rund um verzehrfertige Mahlzeiten. Von der Übernahme des US-Unternehmens versprach sich der Manager ein zweites Standbein zu dem Hauptgeschäft mit Kochboxen.
Hellofresh war mit seinen vorportionierten Zutatenpaketen groß geworden. Vor allem während der Corona-Pandemie, als Lockdowns und die Angst vor Infektionen das Ausgehen erschwerten, legte das Geschäft des Unternehmens deutlich zu. Seither flaut die Nachfrage deutlich ab, und selbst dauerhafte Rabattaktionen können Kunden kaum überzeugen. Richter will daher seine Strategie ändern: Früheren Angaben zufolge soll die Fertigessen-Sparte bis 2025 die größte des Unternehmens werden.
Am Donnerstagabend verdeutlichte Hellofresh, dass dieser Bereich im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent gewachsen ist. Wegen der erwarteten starken Nachfrage will Richter die Produktionskapazitäten ausbauen.
Für den einstigen Umsatztreiber Kochboxen sieht es hingegen mau aus: "Derzeit" verzeichnet Hellofresh nach eigenen Angaben einen Umsatzverlust im hohen einstelligen Prozentbereich. Im Laufe des Jahres dürfte die Absatz- und Umsatzlücke zunehmend kleiner werden. Ganz kompensieren lässt sich die Delle aber anscheinend nicht.
Bereits für 2024 zeigen sich weitere Zeichen schwacher Geschäfte, die vor allem auf Kochboxen aufbauen: So dürfte der bereinigte operative Gewinn den Angaben zufolge auf 350 bis 400 Millionen Euro einbrechen. Bereits im abgeschlossenen Jahr war dieses Ergebnis vorläufigen Zahlen zufolge von 477 auf 448 Millionen Euro zurückgegangen.
Die Prognose des Vorstands liegt deutlich unter den durchschnittlichen Schätzungen von Analysten, die für 2024 von einem deutlichen Anstieg ausgegangen waren.
Nach den Plänen des Managements soll der Umsatz währungsbereinigt um zwei bis acht Prozent zulegen. Im vergangenen Jahr war er um etwa 2,8 Prozent auf rund 7,6 Milliarden Euro gestiegen. "2023 war klar enttäuschend und unter unseren Erwartungen", sagte Konzernchef Richter in der Telefonkonferenz.
Hellofresh geht davon aus, dass der Erlös im ersten Quartal währungsbereinigt nur leicht zugelegt hat. Die entsprechende bereinigte Gewinnmarge (Ebitda-Marge) dürfte im besten Fall bei null liegen oder auch leicht negativ ausfallen. Demnach dürfte das operative Ergebnis entweder geradeso die Gewinnschwelle erreichen oder mit einem leichten operativen Verlust enden. Der Vorstand begründete dies mit hohen Marketingausgaben sowie dem schnellen Hochfahren des Geschäfts mit Fertiggerichten. Der deutliche Mengenrückgang bei den Kochboxen soll sich im zweiten Halbjahr "entspannen".
Mitte November hatte Hellofresh bereits seine Ziele für 2023 zusammengestrichen. Grund waren Probleme im wichtigsten Einzelmarkt USA. In Arizona verzögerte sich das Hochfahren der neuen Produktionsstätte für Fertiggerichte. Zudem erschwerten die Wasserknappheit in dem Wüstenstaat sowie fehlendes Personal die Herstellungsprozesse. Und in Illinois dauerte die geplante Wartung einer Produktionsstätte länger als angenommen.
Auch zeigte sich damals schon, dass Kunden wohl nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit auf Hellofresh-Produkte anspringen: Rund um das Erntedankfest seien die Neukundenzahlen überraschend gering ausgefallen, berichtete das Unternehmen. Üblicherweise nimmt Hellofresh im Spätsommer und zu Beginn der Herbstmonate viel Geld in die Hand, um neue Kunden mit Rabattaktionen und sogar mit kostenlosen Kochboxen zu ködern./ngu/stw/mis