HAMBURG (dpa-AFX) - Der Hamburger Pharmawirkstoffforscher und -entwickler Evotec
Der Aktienkurs brach zeitweise um mehr als ein Drittel auf den tiefsten Stand mit seit 2017 ein. Am späten Vormittag waren die Papiere mit einem Minus von noch 32 Prozent auf 19,65 Euro abgeschlagenen Schlusslicht im Index der mittelgroßen Werte, dem MDax. 2024 steht nun ein Minus von fast 55 Prozent auf dem Zettel.
Evotec plant bisher nicht näher genannte Anpassungen in der Größe und bei den Standorten. So will der MDax-Konzern künftig weniger Geld in die eigene Forschung stecken und sich stattdessen noch stärker auf Schlüsselkompetenzen wie etwa das Biologika-Geschäft konzentrieren.
Evotec sprach in seiner Mitteilung zur Wochenmitte von einem "herausfordernden Umfeld" und einer "sich verändernden Marktnachfrage". Hierauf wolle der Konzern durch die Optimierung seiner Geschäfte reagieren. Auch die bisherige Berichtsstruktur wird dazu gestrafft und überarbeitet: Künftig will Evotec seine Zahlen getrennt nach der US-Tochter Just Evotec Biologics und dem Segment "Shared R&D" ausweisen, das die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten mit Partnern umfasst.
In der jüngeren Vergangenheit hatte Evotec unter anderem mit hohen Kosten für den Aufbau zweier neuer Biologika-Anlagen zu kämpfen. Zudem sorgte im Frühjahr 2023 der Hackerangriff für erhebliche Probleme und ließ die Geschäfte stocken, sodass das Management noch unter Lanthalers Führung im Sommer die Jahresziele kappen musste.
Letztlich kletterte in den zwölf Berichtsmonaten der Umsatz zwar um vier Prozent auf 781,4 Millionen Euro; das um Einmaleffekte der Cyberattacke bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (bereinigtes Ebitda) sank jedoch auf 66,4 Millionen Euro nach 101,7 Millionen Euro im Vorjahr. Damit fiel der operative Gewinn noch schlechter aus als von Analysten befürchtet. Im Zusammenhang mit der Erholung von der Cyberattacke fielen Einmaleffekte von 15,9 Millionen Euro an.
Konkret soll die geplante Restrukturierung nun einen jährlichen Beitrag zum bereinigten Ebitda von mehr als 40 Millionen Euro bringen. Nach dem deutlichen Rückgang im vergangenen Jahr soll diese Kennziffer 2024 insgesamt wieder im zweistelligen Prozentbereich wachsen, im selben Maß soll auch der Umsatz in diesem Jahr zulegen. Die Ausgaben für hauseigene Forschungs- und Entwicklungsprojekte sollen dagegen 2024 im mittleren einstelligen bis niedrigen zweistelligen Prozentbereich sinken.
Damit dürften der Erlös und das operative Ergebnis in diesem Jahr allerdings deutlich unter den Markterwartungen landen, schrieb Analyst Charles Weston von der kanadischen Investmentbank RBC. Der Ausblick des Konzerns sei somit deutlich vorsichtiger geworden. Zudem stehe hinter dem mittelfristigen Ausblick ein Fragezeichen, denn Evotec kündigte zur Wochenmitte deren eine Aktualisierung zur nächsten Halbjahresbilanz an.
Die Mittelfristziele sollen zusammen mit dem neuen Konzernchef Christian Wojczewski abgeklopft werden, der den Konzern wieder in ruhigeres Fahrwasser führen soll. Seinen Amtsantritt zum 1. Juli hatte Evotec erst am Vorabend verkündet. Bis dahin führt Mario Polywka die Geschäfte beim Konzern weiter interimistisch. Der neue Chef ist den Angaben zufolge studierter Chemiker mit über 20 Jahren Erfahrung in unterschiedlichen Führungspositionen, zuletzt als Chef bei Mediq und Linde Healthcare.
Der neue Vorstandschef sei ein positiver Aspekt, aber die Unsicherheit mit Blick auf die Gewinnentwicklung in den Jahren 2024 und 2025 überschatte dies, gab sich Analyst Benjamin Jackson vom Investmenthaus Jefferies zurückhaltend. Die Marktschätzungen seien bislang deutlich zu optimistisch gewesen.
Der Wechsel an der Unternehmensspitze war nötig geworden, nachdem der langjährige Konzernlenker Lanthaler Anfang 2024 überraschend das Handtuch geworfen hatte. Das hatte am Markt panikartige Aktienverkäufe ausgelöst, von denen sich das Papier bislang nicht erholt hat. Seit Jahresbeginn beläuft sich der Kursverlust inzwischen auf mehr als 40 Prozent.
Lanthaler hatte offiziell seinen Schritt mit einem "extrem herausfordernden und sowohl körperlich als auch insgesamt erschöpfenden Jahr 2023" erklärt, doch am Markt wurden bald auch andere Gründe vermutet. So hatte der Manager Aktiengeschäfte aus den Jahren 2021 und 2022 erst mit erheblicher zeitlicher Verspätung nachgemeldet, was Presseberichten zufolge auch die Finanzmarktaufsicht Bafin wegen eines möglichen Verstoßes gegen Meldepflichten auf den Plan rief. Zudem waren einige der millionenschweren Geschäfte den Daten zufolge rund um wichtige Unternehmenstermine getätigt worden, was am Markt zu Spekulationen über möglichen Insiderhandel führte.
Ein Bafin-Sprecher wollte sich auf Anfrage von dpa-AFX am Dienstag nicht zu etwaigen Untersuchungen äußern, er verwies in diesem Zusammenhang auf Verschwiegenheitspflichten der Behörde. Auch ein Evotec-Sprecher lehnte einen Kommentar ab./tav/nas/mis