DORTMUND (dpa-AFX) - Von Nervosität war keine Spur. Als wäre ihm sein neues Amt schon seit Jahren vertraut, meisterte Lars Ricken am Mittwoch die offizielle Vorstellung als neuer Sportchef von Borussia Dortmund
Zweifel, dass der neue Job im großen Schatten des langjährigen Vereinspatrons Hans-Joachim Watzke für ihn mehr Last als Lust sein könnte, räumte er gleich bei seinem ersten öffentlichen Auftritt aus. "Ich brauchte keine Nacht, um darüber zu schlafen", beschrieb er seine Reaktion nach dem Angebot der Clubführung, "ich vertrete diese Farben mit allem, was ich habe. Das ist mein Verein, ich bin hier geboren und gehe seit 40 Jahren in dieses Stadion."
Ricken passt wie kaum ein anderer zum Vereinsslogan "Echte Liebe". Seit seinem Wechsel 1990 zum BVB spielte und arbeitete der einst als Wunderkind und "Lars vom Mars" gefeierte Profi für keinen anderen Club. Dieser Stallgeruch und die großen Verdienste als ehemaliger Nachwuchskoordinator waren jedoch nicht die einzigen Argumente, warum die Wahl auf ihn fiel. Als er dem zuständigen Gremium sein Konzept vorstellte, mit dem er den Verein in die Zukunft führen will, hinterließ er mächtig Wirkung. "Er hat den Präsidialausschuss gerockt", kommentierte Vereinspräsident Reinhold Lunow das am Ende einstimmige Votum für Ricken.
Doch wie gelingt es Ricken, nach der langen Amtszeit von Watzke ein eigenes Profil zu entwickeln? Sein Vorgänger im Amt will dabei angeblich nicht im Weg stehen. Zwar bleibt Watzke bis zu seinem Ausscheiden Ende 2025 Vorsitzender der Geschäftsführung, möchte sich aber in sportliche Belange nicht mehr einmischen: "Ich habe das nicht gemacht, um hier weiter die Fäden zu ziehen. Es wird definitiv keinen Anruf geben, um Lars zu sagen, mach das bitte so und so." So übertrug er Ricken die Leitung der sogenannten "Elefantenrunde", in der der Aufbau einer schlagkräftigeren Mannschaft für die kommende Saison entschieden wird. Watzke wird aber "den finanziellen Rahmen" bei der Kaderplanung erarbeiten.
Wie anspruchsvoll sein neuer Job werden kann, bekommt Ricken gleich in den ersten Tagen zu spüren. Dass nach nur einem Monat das Champions-League-Finale am 1. Juni gegen Real Madrid ansteht, passt zu seiner Vita. Schließlich war es der einstige Offensivallrounder, der den BVB mit seinem von den Dortmunder Vereinsfans zum "Jahrhunderttor" gekürten Treffer im Königsklassen-Endspiel 1997 den 3:1-Erfolg gegen Juventus Turin sicherte.
Darüber hinaus gilt es, Umbaupläne für den Kader zu finalisieren. Bei aller Euphorie über die internationalen Erfolge offenbarten sich im Alltagsgeschäft Bundesliga große Mängel. Im Zusammenspiel mit Sportdirektor Sebastian Kehl und dem als Kaderplaner zurückgeholten Sven Mislintat ist die Suche nach Verstärkungen bereits in vollem Gange. Ob die im Winter ausgeliehenen Jadon Sancho (Manchester United) und Ian Maatsen (FC Chelsea) fest verpflichtet werden können, ist nur eine von vielen ungeklärten Fragen.
Ausschließlich auf die Entwicklung von Talenten will Ricken beim Kaderumbau nicht setzen: "Wir waren immer dann am stärksten, wenn wir eine Zwei-Wege-Strategie hatten. Junge, hungrige Spieler und ein Gerüst aus Spielern mit Erfahrung, Qualität und Führungsstärke." Er sieht verheißungsvolle Perspektiven: "Wir stehen im Finale der Champions League, spielen im nächsten Jahr in der Königsklasse und nehmen im kommenden Sommer an der Club-WM teil. Die Zukunft hat schon begonnen."
Diskussionen über die Neubesetzung des Trainerpostens dürfte es nicht geben. Anders als noch vor der Winterpause ist Edin Terzic aufgrund der Erfolge in Europa vereinsintern mittlerweile unumstritten. Als kniffliger gilt die Personalie Kehl. So sollen im Sommer Gespräche über die Verlängerung des bis 2025 datierten Vertrags geführt werden. Der Sportdirektor wurde lange Zeit als Watzke-Nachfolger gehandelt und hatte das noch vor wenigen Wochen als für ihn "logischen Schritt" bezeichnet. Dass Kehl die Beförderung verwehrt blieb und ihm mit Mislintat auch noch ein Kaderplaner zur Seite gestellt wurde, wurde als begrenztes Vertrauen in die Arbeit des ehemaligen BVB-Profis gewertet.
Watzke hofft auf Harmonie: "Jeder hat ein gewisses Ego. Aber wenn wir es hinbekommen, vertrauensvoll zusammenarbeiten, haben wir eine Riesenchance. Mit dieser Konstellation sind wir theoretisch gut aufgestellt, müssen es aber unter Beweis stellen."/bue/DP/men