ROUNDUP/Mit Munition verseuchtes Land: Ukraine braucht Hilfe
LAUSANNE (dpa-AFX) - Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert mittlerweile mehr als zweieinhalb Jahre. Die Kampfhandlungen haben Hunderttausende Minen und andere Kampfmittelrückstände in Wohngegenden und auf Feldern hinterlassen, die noch explodieren können. Bei einer zweitägigen Konferenz in der Schweiz geht es nun darum, wie die Minen "womöglich schneller, effektiver und billiger geräumt werden können", wie Peter Reuss, der Referatsleiter im Auswärtigen Amt unter anderem für humanitäres Minenräumen, sagte.
Die ukrainische Vizeregierungschefin Julia Swyrydenko sagte zum Konferenzauftakt in Lausanne, die Ukraine habe bereits 35.000 Quadratkilometer Land geräumt, teils mit selbst gebauten Maschinen. Nicht nur, damit Menschen in ihre Dörfer zurückkehren könnten, sondern auch, um Felder wieder herzustellen. Millionen Menschen weltweit seien auf ukrainischen Weizen angewiesen.
Was ist die Gefahr?
Landminen, Streumunition, nicht explodierte Granaten, Raketen oder abgestürzte Kampfdrohnen können beim versehentlichen Berühren oder Hantieren explodieren. Seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar 2022 gab es in der Ukraine mehr als 1.000 Opfer durch Minen und nicht explodierte Kampfmittelrückstände, gut 300 von ihnen kamen ums Leben.
Ist das Minenproblem größer als etwa in Syrien oder anderswo?
Die Vereinten Nationen sehen die Ukraine als das am stärksten verminte Land der Erde an. Potenziell gilt eine Fläche doppelt so groß wie Bayern als Gefahrengebiet, plus verminte Meeresgebiete. Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP sagt zwar, dass womöglich nur auf zehn Prozent der Fläche wirklich Munition liege, aber das ganze Areal muss abgesucht werden. "Diese Risiken beeinflussen das Leben von über sechs Millionen Ukrainern negativ", sagt der Leiter der nationalen ukrainischen Minenräumbehörde, Ruslan Berehulja.
Was ist in der Ukraine anders als in anderen minenverseuchten Ländern?
Zum einen habe Russland die Minen so dicht gelegt, wie es in kaum einem anderen Land vorkomme, sagt Gary Toombs von der Organisation Handicap International, die Minenopfern und Menschen mit Behinderungen weltweit hilft. Zum anderen gebe es neue Technologien: etwa Minen, die durch Veränderung des Magnetfelds oder Erschütterungen im Boden aktiviert werden, was die Räumung zusätzlich kompliziere.
"Es gibt Geschosse, die über dem Boden Spulen von Spann- und Stolperdrähten herausschleudern, die dann ein Spinnennetz bilden", sagt er. Wer hineinläuft, löst die Explosion aus. Andere Spanndrähte hingen mit einer Art Angelhaken im Baum, der sich beim Vorbeigehen in Kleidung verfängt. Durch den Zug werde der Zünder ausgelöst.
Wie schränkt dies das Leben der Menschen ein?
"Landwirte können ihre Felder nicht bestellen, beschädigte Kraftwerke bleiben außer Betrieb und Zivilisten bleiben aus ihren Häusern vertrieben", sagt Jaco Cilliers, Vertreter des UN-Entwicklungsprogramms in der Ukraine. So bleibt auch die Wirtschaft teils lahmgelegt. An der Front ist das Militär für Minenräumung zuständig, bei großer Infrastruktur die Minenräumbehörde. In Dörfern und Feldern geht es um sogenannte humanitäre Minenräumung.
Wie funktioniert die humanitäre Minenräumung?
Vielfach müssen Felder nach einem ersten Einsatz von Maschinen Meter für Meter mit Metalldetektoren abgesucht werden, sagt Markus Schindler. Der 36-Jährige aus Rosenheim arbeitet für die FSD, eine schweizerische Stiftung für Minenräumung.
An zwei verminten Fußballplätzen in der Region Charkiw hätten Minenräumer mehrere Monate gearbeitet. Dort musste zur Sicherheit der Spieler jeder Munitionssplitter entfernt werden. Andernorts können zehnmal größere Gebiete in wenigen Wochen geräumt werden.
Was muss darüber hinaus getan werden?
Handicap International konzentriert sich auf Risikoaufklärung, "wie man sicher in einem Gebiet leben kann, bis die Minenräumer kommen", sagt Toombs. Schulungen gibt es in Gemeindesälen, Bunkern, Schulen und anderswo.
Was ist schon gemacht worden?
Nach Angaben der ukrainischen Behörden sind im Land schon mehrere Tausend Minenräumer im Einsatz. Sie haben Hunderttausende Minen und explosive Gegenstände unschädlich gemacht. Minen würden vernichtet, nicht zur Wiederverwendung aufbereitet, sagte Swyrydenko in Lausanne. Die Kosten, um das ganze Land weitgehend zu räumen, werden von der Regierung auf gut 30 Milliarden Euro geschätzt./oe/DP/jha