ROUNDUP: Bahn empört mit Neubauplänen
HAMBURG/HANNOVER (dpa-AFX) - Trotz scharfer Kritik setzt die Deutsche Bahn bei der stark überlasteten Strecke zwischen Hamburg und Hannover neben einer Generalsanierung 2029 auf eine Neubaustrecke über Bergen (Landkreis Celle). Es seien 29 Varianten geprüft worden, sowohl entlang der Bestandsstrecken als auch neue Streckenführungen, teilte die Bahn mit. Vier davon seien anhand von knapp 200 Kriterien abgewogen worden. "Der Neubau von Hannover nach Hamburg über Bergen erfüllt die Kriterien für den Deutschland-Takt und das Ziel, mehr Platz auf den Gleisen für mehr Züge im Nah-, Fern- und Güterverkehr zu schaffen", erklärte die Bahn. Das letzte Wort habe der Bundestag.
Strecke Hamburg - Hannover massiv überlastet
Ein reiner Ausbau der bestehenden Strecke habe sich als deutlich unterdimensioniert herausgestellt. Außerdem bringe die sogenannte Vorzugsvariante durch die Heide zusätzliche Potenziale für neue Nahverkehrshalte wie zum Beispiel im Heidekreis. Die Strecke Hannover-Hamburg zählt nach Angaben der Bahn mit einer Auslastung von 147 Prozent zu den am stärksten überlasteten und damit unpünktlichsten Strecken Deutschlands. Der Bund prognostiziere auf dieser Achse zudem steigende Zugzahlen sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr.
"Die Strecke ist überlastet und wir sind mit der Infrastruktur, so wie sie dort im Moment liegt, nicht in der Lage, auch nur annähernd den Verkehrsprognosen des Bundes in irgendeiner Form gerecht zu werden", sagte die DB-Konzernbevollmächtigte für die Länder Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein, Ute Plambeck. Der angedachte bestandsnahe Ausbau des transeuropäischen Korridors zwischen Skandinavien und Südeuropa funktioniere dabei nicht. Die Planungen hätten klar gezeigt: "Wir brauchen zwei zusätzliche Gleise."
Von Hamburg nach Hannover in unter einer Stunde
"Nur der Neubau erfüllt alle gesetzlichen Vorgaben", betonte der Leiter Infrastrukturprojekte Regionalbereich Nord DB InfraGO, Frank Limprecht. Der Verkehrsprognose des Bundes zufolge sollen auf der Verbindung täglich 400 Züge fahren. Derzeit seien jedoch nur 200 möglich. Die Neubaustrecke bringe auch viele Vorteile in der Region. So wäre beispielsweise Hamburg von Soltau aus mit einem neuen Express-Nahverkehr in 30 statt wie bislang in 84 Minuten zu erreichen. Und auch die Strecke Hamburg - Hannover wäre dann in unter einer Stunde zu schaffen.
Wann genau der erste Zug über die Neubaustrecke rollen könnte, steht in den Sternen. Laut Bahn hängt das davon ab, wann sich der Bundestag mit dem Projekt befasst - die Bahn setzt auf dieses Jahr - wie lange das Planfeststellungsverfahren dauert, ob es rechtlichen Auseinandersetzungen gibt und wie lange der Bau selbst dauert. Der Leiter Großprojekt ABS/NBS Hannover-Hamburg DB InfraGO, Matthias Hudaff, wollte sich nicht festlegen, kam in einer Überschlagsrechnung ungefähr auf die 2040er Jahre. Zu den Kosten des Projekts wollte er sich gar nicht äußern. Das werde im Bericht für den Deutschen Bundestag stehen.
Landkreis Lüneburg begrüßt Pläne der Bahn
Der Landkreis Lüneburg begrüßte die Pläne der Bahn. "Als Landkreis Lüneburg begrüßen wir diese richtige und wichtige Entscheidung der Bahn ausdrücklich. Für unsere Region, für ihre wirtschaftliche Entwicklung und für das gesamte norddeutsche Schienennetz ist die Neubaustrecke Hamburg-Hannover zwingend erforderlich", sagte Landrat Jens Böther (CDU). Sie entlaste Pendler, befördere den klimafreundlichen Gütertransport auf der Schiene und sei eine wesentliche Säule des geplanten Deutschland-Takts.
Böther steht mit seinem Lob jedoch weitgehend allein da. Niedersachsens Ministerpräsident Olaf Lies (SPD) nannte das Vorgehen der Bahn nicht zielführend. Er habe gedacht, dass Einigkeit darüber bestehe, dass rasch etwas geschehen müsse. "Deshalb halte ich die alleinige Fokussierung auf eine Neubaustrecke zwischen Hamburg und Hannover für falsch", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die vergangenen zehn Jahre sei die Region von der Bahn vertröstet worden und es sei nichts passiert.
Niedersachsens Landesregierung massiv verärgert
Niedersachsens Verkehrsminister Grant Hendrik Tonne (SPD) sagte, die Bahn halte an ihren Planungen entgegen aller Vereinbarungen in Niedersachsen und ohne Rückhalt in der Region fest. "Die heute veröffentlichte Neubauplanung verläuft abseits vorhandener Infrastruktur und bringt den Menschen vor Ort nichts: keine Bahnhöfe, kein Fernverkehrsanschluss, stattdessen mehr Güterverkehr ohne Lärmschutz auf den heutigen Strecken."
Scharfe Kritik kam auch aus dem Landkreis Harburg. "Wir sind von diesem Vorgehen sehr irritiert. Dieser neuerliche Vorstoß der Bahn ist eine klare Missachtung aller bisherigen Vereinbarungen", erklärte Landrat Rainer Rempe (CDU). Es gebe die klare Einigung zwischen Bund, Land und Deutscher Bahn, dass zunächst die Bestandsstrecke saniert wird und dabei so weitgehend wie möglich die Ergebnisse des Dialogforums Schiene Nord von 2015 umgesetzt werden. "Wir erwarten, dass sich auch die Bahn an die Abmachungen hält."
Landkreis Harburg wirft der Bahn Arroganz vor
Rempe warf der Bahn Arroganz vor. Die Landtagsabgeordnete und Vize-Landrätin Nadja Weippert (Grüne) betonte, die Planung der Bahn "ist eine Missachtung der parlamentarischen Beschlüsse und ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich seit Jahren intensiv für eine Verbesserung des Schienenverkehrs im Einklang mit Mensch und Natur einsetzen".
Kritik kam auch vom Projektbeirat Alpha-E - eine im "Dialogforum Schiene Nord" erarbeitete Variante, bei der ein drittes Gleis zwischen Lüneburg und Uelzen ge- und mehrere Bahnstrecken im Dreieck Hamburg, Hannover, Bremen ausgebaut werden sollen. Der Beirat warf der Bahn vor, dass ihre Pläne nichts zur kurz- oder mittelfristig notwendigen Lösung der Probleme beitrügen.
Projektbeirat: Überlastung würde für Jahrzehnte zementiert
"Die derzeitige Überlastung würde für Jahrzehnte zementiert, denn mit der Generalsanierung in 2029 sollen nur minimale Kapazitätssteigerungen umgesetzt werden." Eine echte Entlastung werde es erst geben, wenn eine Neubaustrecke komplett fertiggestellt sei. "Das wird nach den Erfahrungen mit großen Bahnprojekten frühestens in 20 - 30 Jahren der Fall sein."/klm/DP/stw