ROUNDUP: Ist das Plastiktüten-Verbot zu lasch?
BERLIN (dpa-AFX) - Fünf Jahre nach Verabschiedung eines Plastiktüten-Verbots durch den Bundestag fordern Umweltschützer eine Verschärfung der Vorschriften. Die Regelung habe die Nutzung von Plastiktüten im Einzelhandel zwar wesentlich verringert, doch es seien noch immer viel zu viele Einweg-Plastiktüten im Umlauf, sagte Viola Wohlgemuth von der Deutschen Umwelthilfe (DUH).
Am 26. November 2020 stimmte der Deutsche Bundestag für ein Gesetz, das die zuvor üblichen Supermarkt-Einkaufstüten aus Plastik ab Januar 2022 untersagte. Es ging um Kunststoffverpackungen mit einer Wandstärke von 15 und 50 Mikrometern. Die kleinen dünnen Tüten für Obst und Gemüse blieben erlaubt.
Wohlgemuth bemängelt, dass heute noch immer einige Einzelhändler Plastiktüten an ihren Kassen anbieten. "Die sind nur minimal dicker als 50 Mikrometer und fallen daher nicht unter das Verbot - das ist zwar legal, aber ziemlich dreist." Die Tüten hätten Einweg-Charakter, sie gingen schnell kaputt und würden schnell zu Müll. Das Verbot sollte auf Wandstärken von bis zu 100 Mikrometer oder mehr erweitert werden, so Wohlgemuth. "Erst dann ist eine Plastiktüte so robust, dass ein mehrfacher Gebrauch realistisch ist."
Indien ging härter vor als Deutschland
Deutschland solle sich ein Beispiel an Indien nehmen, wo auch Plastiktüten mit bis zu 120 Mikrometern verboten seien. "Das sollten wir in Deutschland auch hinbekommen", sagt Wohlgemuth. Die Umweltschützerin betont, dass bei der Nutzung von allen Plastiktüten winzige Partikel abgerieben werden und in der Landschaft landen. Dort bauten sie sich nicht ab. Über die Luft, das Wasser und Nahrung gelangten solche Partikel in den Körper und schadeten der Gesundheit.
Der Einzelhandel setzt schon seit einigen Jahren verstärkt auf recht dicke Plastiktaschen oder Stoffbeutel, die für den mehrfachen Gebrauch gedacht sind. Wohlgemuth mahnt allerdings an, dass diese Verpackungen zu billig seien und die Menschen zu viele davon kauften. "Man ist einkaufen und hat die Tüte zu Hause vergessen - also kauft man sich noch eine, obwohl zu Hause der Küchenschrank schon voll ist mit solchen Tüten und Beuteln", sagt die Umweltschützerin. Um die Menge der im Umlauf befindlichen Tüten und Beutel zu reduzieren, sollte ein Pfand- und Rücknahmesystem eingeführt werden. "So wie man die Bierflasche in den Automaten steckt, sollte man auch Plastiktüten und Stoffbeutel zurückgeben können."
Plastiktüte ist schon lange auf dem Rückmarsch
Die früher massenhaft genutzten Plastiktüten wurden schon vor dem gesetzlichen Verbot Schritt für Schritt ein Auslaufmodell. Dabei hatte sich der Handelsverband 2016 auch ohne gesetzlichen Zwang verpflichtet, dass innerhalb von zwei Jahren 80 Prozent der Plastiktüten kostenpflichtig würden - sie sollten also nicht mehr gratis an der Kasse mitgegeben werden. Die Supermarktkette Rewe ging weiter und verbannte Plastiktüten schon damals aus ihren Läden, stattdessen gab es Papiertüten, Kartons und Mehrweg-Taschen.
Laut Europäischem Statistikamt (Eurostat) verbrauchte ein Bundesbürger im Jahr 2018 im Schnitt 57,2 Plastiktüten, die maximal 50 Mikrometer dick sind - es geht also um die heute verbotenen Tüten und die weiterhin erlaubten sehr dünnen "Hemdchen-Tragetaschen" für Obst und Gemüse. 2021 waren es 38,4 und 2023 nur noch 30,9. Im europäischen Vergleich steht Deutschland gut da, in Tschechien, Spanien und Bulgarien etwa fallen pro Kopf viel mehr Plastiktüten an.
Handelsbranche betont Vorteile freiwilliger Maßnahmen
Der Handelsverband bewertet den Branchenweg im Rückblick als Erfolgsgeschichte. "Die freiwillige Selbstverpflichtung noch vor der gesetzlichen Pflicht macht deutlich, dass die Handelsbranche ihre Bemühungen in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit ernst meint", sagt HDE-Geschäftsführerin Antje Gerstein. Durch die Selbstverpflichtung sei der Verbrauch von dünnen Plastiktüten massiv gesenkt worden. Die Erfahrung zeige, dass Verbraucher die angebotenen Alternativen gut annehmen. Die Unternehmen arbeiteten stetig daran, ihre Produkte und Verpackungen nachhaltiger und besser recycelbar zu gestalten.
Mit den angebotenen Alternativen ist auch die Plastikindustrie zufrieden. "Kunststoff hat sich als nahezu ideale Lösung für Mehrweganwendungen etabliert", sagt die Hauptgeschäftsführerin von Plastics Europe Deutschland, Christine Bunte. "Eine robuste Tasche aus recyceltem Kunststoff ist nicht nur praktisch, sondern weist oft eine bessere Ökobilanz auf als viele Alternativen wie Stoffbeutel." Bunte weist auf Studien hin, denen zufolge Mehrweg-Plastiktaschen bereits nach fünf- bis zwanzigfacher Nutzung eine bessere Ökobilanz haben als eine Einweg-Tüte. Damit seien diese robusten Kunststoff-Taschen besser als Baumwoll-Taschen, die häufiger zum Einsatz kommen müssen, bevor ihre Ökobilanz besser sei als eine Einweg-Tasche aus Kunststoff.
Die Bundestagsabgeordnete Julia Schneider von den Grünen hält es inzwischen für selbstverständlich, fürs Einkaufen Tragetaschen mehrfach zu verwenden. "Viele Bürgerinnen und Bürger setzen in ihrem Alltag ohnehin auf mehr Wiederverwenden statt Wegwerfen." Schneider weist auf Sommer 2026 hin - dann greift ein EU-Regelwerk zu Verpackungen, was das Plastikaufkommen noch weiter reduzieren soll. Die Oppositionspolitikerin fordert von der Bundesregierung, dieses EU-Regelwerk als Gelegenheit zu nutzen, um Mehrweg zum Standard zu machen und die Kreislaufwirtschaft voranzubringen./wdw/DP/jha