Reuters

Die Wahlchancen von "Otto-Lilienthal" in Berlin

20.09.2017
um 17:41 Uhr

- von Markus Wacket

Berlin (Reuters) - Parallel zu den Parteien steht am Sonntag in Berlin auch ein Flughafen zur Abstimmung: Per Volksentscheid sollen die Hauptstädter ein Votum abgeben, ob Tegel als Tor zur Welt offen bleiben soll, selbst wenn der neue Hauptstadtflughafen einmal den Betrieb aufnimmt.

"Der Flughafen Berlin-Tegel 'Otto Lilienthal' entlastet den geplanten Flughafen Berlin-Brandenburg 'Willy Brandt' (BER)", heißt es in dem von mehr als 200.000 Berlinern per Unterschrift erzwungenen Antrag. Der Senat wird aufgefordert, die Schließung von Tegel aufzugeben. Die Befürworter argumentieren, viele Metropolen hätten mehr als einen Flughafen. Zudem ist der zentrumsnahe Flughafen sowohl bei Fluglinien als auch Berlinern beliebt - abgesehen von denen im Norden, die in der Einflugschneise leben. Umfragen deuten daraufhin, dass eine Mehrheit Ja zu "Otto-Lilienthal" sagt. Doch dass er so wirklich länger in Betrieb bleibt, ist zweifelhaft. Dagegen sprechen rechtliche und finanzielle Gründe.

Es fängt damit an, dass zwar in Berlin abgestimmt wird, die Flughafengesellschaft aber mit Brandenburg und dem Bund zwei weitere Eigentümer hat. Und zumindest Brandenburg lehnt wie der Berliner Senat den Weiterbetrieb von Tegel klar ab. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sprach sich zwar angesichts der sich abzeichnende Kapazitätsprobleme des geplanten Hauptstadtflughafens BER indirekt für die Offenhaltung von Tegel aus. Der CSU-Politiker ärgerte so im Wahlkampf zwei SPD-geführte Landesregierungen. Offiziell hält die Bundesregierung jedoch an dem von allen gefassten Beschluss fest, dass spätestens sechs Monate nachdem der BER in Betrieb geht die Schließung Tegels ansteht. Anders ausgedrückt ist es jetzt schon Rechtslage, dass Tegel zumacht und nur wegen der Verzögerungen beim BER noch provisorisch weiterbetrieben wird.

Entsprechend ist in den vergangenen Jahren auch nur noch das Nötigste investiert worden. Das zusätzliche Terminal vor allem für Air Berlin war von Anfang an als Baracke in sogenannter Leichtbauweise konzipiert. Die Technik von Gepäckbeförderung stammt aus den Startzeiten der 60er Jahre und der für Airports finanziell so lukrative Shopping-Bereich ist praktisch gar nicht existent.

TEGEL BRÄUCHTE NEUE GENEHMIGUNGEN

Wichtiger noch: Es müsste für einen Weiterbetrieb nicht nur die Technik komplett saniert werden, auch der Lärmschutz für die Anwohner entspricht nicht mehr heutigen Standards. Extra-Kosten in Milliarden-Höhe müssten eingeplant werden. Zudem müssten die An- und Abflugrouten neu genehmigt werden. Dies alles sei in etwa so aufwendig wie bei einem Neubau, argumentiert ein Rechtsgutachten des Berliner Verwaltungsjuristen Reiner Geulen. Die Genehmigungen könnten von Anwohnern beklagt werden, jahrelange Verzögerungen wären wohl die Folge.

Die Verantwortlichen im Berliner Senat sind in einer schwierigen Position. Eigentlich ist das Areal des Airports schon verplant für ein neues Gewerbegebiet, Wissenschafts-Institute sowie für dringend benötigte Wohnungen in der rasant wachsende Hauptstadt. Zwar bedeutet ein Ja im Volksentscheid nicht zwingend, dass der Wille umgesetzt werden muss. Die Politik ist nur aufgefordert, dies ernsthaft zu prüfen und in Erwägung zu ziehen. Aber selbst wenn zwingende Gründe dagegen sprechen, bleibt es für die Berliner Koalition aus SPD, Grünen und Linken unangenehm: Sie stellt sich so gegen den demokratischen Willen der Berliner.

Genau das gilt schon jetzt als Erfolg der FDP, die der Treiber hinter der Initiative ist. Allein das hat der kleinsten Berliner Oppositionspartei viel Aufmerksamkeit gebracht. Selbst die CDU kam zunächst in Zugzwang und dann in Turbulenzen: In einer Mitgliederbefragung sprach sich die Basis für die Offenhaltung Tegels aus. Nachdem die Parteiführung dort zunächst hinter der Schließung gestanden hatte, machte sie eine Kehrtwende.

Für die FDP könnte die Initiative daher nur ein erster Schritt sein, um weiter zu punkten: Sollte der Senat sich dem klaren Willen der Berliner widersetzen, will sie ein Volksbegehren für eine Neuwahl des Senats starten.

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