- von Rupert Pretterklieber und Angelika Gruber und Brenna Hughes Neghaiwi und Paul Arnold
Zürich (Reuters) - Die erste Wohnungsmiete gratis? Zum Einzug noch ein Fitnessabo?
Oder Einkaufsgutscheine, um den neuen Kühlschrank zu füllen? Mit solch kreativen Lockangeboten suchen Wohnungsbesitzer in der Schweiz nach Mietern. Für Immobilienexperten sind sie ein erstes Zeichen einer heraufziehenden Krise: Der Bauboom sowie die rückläufige Zuwanderung in die Schweiz sorgen für nahezu rekordhohe Leerstände. Bei Mietwohnungen haben sich diese laut einer Studie der Credit Suisse in den vergangenen neun Jahren mehr als verdoppelt. Sollten in absehbarer Zeit auch noch die Zinsen rasch ansteigen, könnte das im schlimmsten Fall eine Immobilienkrise nach sich ziehen, die auch die Banken mit sich reißt. Auch die Schweizerische Nationalbank schaut sich den Immobiliensektor genauer an - schließlich sind die Zinsen in keinem anderen westlichen Land so niedrig und die Verschuldung der Privathaushalte so hoch.
In den vergangenen Jahren sind die Immobilienpreise in der Schweiz rasant gestiegen. Angesichts der rekordtiefen Zinsen haben professionelle Investoren und vermögende Privatleute auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten verstärkt Wohnungen gekauft. Das weckt Erinnerungen an die Immobilienkrise in den USA, die vor etwa zehn Jahren ihren Höhepunkt erreicht hat. Einer Studie der Universität Pittsburgh zufolge waren auch dafür mitunter vermögendere Haushalte verantwortlich. Sie hatten nicht nur eine Hypothek auf ihr eigenes Heim aufgenommen, sondern mithilfe eines Kredits auch eine zweite oder dritte Immobilie gekauft - und auf weiter steigende Preise spekuliert. Doch die Rechnung ging nicht auf: Als die Preise am US-Markt fast über Nacht einbrachen, konnten sie ihre Kredite nicht mehr bedienen. Das löste einen Sog aus, der den gesamten Immobilienmarkt mit in den Abgrund riss.
EXPERTE - ÜBERHITZUNG IM IMMO-SEKTOR GRÖSSTES RISIKO
Davor ist auch die Schweiz nicht gefeit: Hier sind die Leitzinsen mit minus 0,75 Prozent seit fast vier Jahren so tief wie kaum sonst wo auf der Welt. Banken müssen der Nationalbank für Guthaben ab einer bestimmten Höhe einen Strafzins zahlen. Daher sind sie eher gewillt, Kredite zu vergeben. Und bei Privatpersonen kurbeln ebendiese niedrigen Zinsen die Nachfrage nach Krediten an. Dabei sind die Privathaushalte in der Schweiz so hoch verschuldet, wie nirgends sonstwo. Grund genug für die Schweizerische Nationalbank, ein wachsames Auge auf den Immobilienmarkt zu halten: Denn wenn die Zinsen stark steigen, könnten auch in der Alpenrepublik viele Wohnungsbesitzer Probleme bekommen, ihre Hypotheken zurückzubezahlen. Das würde auch Banken in Mitleidenschaft ziehen, die die Kredite vergeben haben. Dazu zählen vor allem systemrelevante Institute wie die Raiffeisen-Gruppe und die Zürcher Kantonalbank, aber auch die Großbanken UBS und Credit Suisse. Die Notenbank hat bei ihrer vierteljährlichen Sitzung im Juni insbesondere vor einer Korrektur bei Mietwohnungen gewarnt, die zu Anlagezwecken gekauft wurden - sogenannten Wohnrenditeliegenschaften. Zu den Investoren zählen hier auch viele Privatleute, die oft hohe Kredite aufnehmen. "Das Segment der Wohnrenditeliegenschaften ist definitiv überhitzt. Ich würde sagen, es ist das größte Risiko, das wir haben", sagte ein Regulierungsexperte. Warum Branchenkenner beunruhigt sind, wird mit einem Blick auf die Größe des Marktes in der Schweiz deutlich: Die Großbank Credit Suisse schätzt das ausstehende Volumen der Hypothekarkredite Ende 2018 auf eine Billion Franken.
Auch die Euro-Hüter haben den Immobilienmarkt im Auge, wie EZB-Aufseherin Daniele Nouy kürzlich in einem Interview erklärte. "Was die nächste Krise verursachen könnte? Das weiß ich nicht, aber ich denke, es könnte der Immobilienmarkt sein", sagte sie.
STEIGENDE ZINSEN = TIEFERE IMMO-PREISE
Wenn die Zinsen steigen, dann führt das zu tieferen Immobilienpreisen. Sollte der gesunkene Wert des Hauses nicht mehr als Sicherheit für den Kredit ausreichen, müssen die Eigentümer Kapital nachschießen. Wer das nicht kann, dem droht eine finanzielle Schieflage - und der Bank je nach Vorgehen eine Abschreibung auf einen faulen Kredit.
Dass die Zinsen auch in der Schweiz früher oder später wieder steigen, gilt als ausgemacht. Aktuell liegt der Zins für eine zehnjährige Hypothek bei weniger als zwei Prozent - im Durchschnitt der Jahre von 1960 bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2007/08 waren es rund fünf Prozent.
Von einem Preisrückgang durch rasch steigende Zinsen wären nicht nur private Anleger, sondern auch professionelle Investoren wie Versicherungen betroffen. "Pensionskassen oder Immofonds haben in den vergangenen Jahren davon profitiert, dass sie die Liegenschaften immer höher bewerten konnten", erläutert Immobilienexperte Werner Fleischmann, der ein Maklerunternehmen besitzt. Bei einem Preisrückgang auf breiter Front drohten ihnen Wertberichtigungen.
Allerdings arbeiten Versicherungen meist mit deutlich weniger Fremdkapital als Privatleute - schließlich legen sie die Gelder ihrer Versicherten in den Immobilien an. "Viele Private sind mit viel Fremdkapital unterwegs. Pensionskassen haben eine viel geringere Verschuldung", sagte Immobilienexperte Ernst Schaufelberger von der Versicherung Axa.