- von Gran Slattery
Brumadinho (Reuters) - Nach dem Dammbruch mit Dutzenden Toten in Brasilien gerät der Bergwerksbetreiber Vale immer stärker in die Kritik.
Während Hilfstrupps in Schlammmassen nahe der Eisenerzmine Corrego do Feijao weiter unter Hochdruck nach Hunderten Vermissten suchten, wuchs in der betroffenen Stadt Brumadinho der Zorn auf den Konzern und die Aufsichtsbehörden. Die Verantwortlichen hätten nichts aus einer ähnlichen Katastrophe gelernt, die sich 2015 nicht weit vom aktuellen Unglücksort ereignete, so der Vorwurf. Die Empörung könnte Pläne des neuen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro erschweren, die Auflagen für die Bergbaubranche zu lockern.
In Deutschland rückt der TÜV Süd in den Blick, der den Unglücksdamm vor fünf Monaten überprüft hatte. Er war am Freitag gebrochen. Eine anschließende Schlammlawine begrub zahlreiche Menschen unter sich. Bis Montag zählten die Behörden 58 Tote, mehr als 300 Menschen werden vermisst. Die Chancen, sie lebend zu bergen, galten als sehr gering. Nach Feuerwehrangaben wurden 3000 Anwohner zwischenzeitlich evakuiert, weil am Wochenende Sorgen aufkamen, es könnte zu einem weiteren Dammbruch kommen.
Der Bürgermeister der Gemeinde Brumadinho, Avimar de Melo Barcelos, gab Vale die Schuld für das Unglück. Er warf dem Unternehmen Fahrlässigkeit und Inkompetenz vor und dem Bundesstaat Minas Gerais eine mangelhafte Aufsicht. Der 44-jährige Verkäufer Renato Maia, der um die vermisste Tochter seines besten Freundes bangte, sagte: "Wir haben alle die Nase voll von Vale."
Die Regierung ordnete an, den Betrieb der Mine vorerst zu stoppen. Außerdem verfügten Gerichte, dass Vale umgerechnet 2,55 Milliarden Euro einfrieren muss, um etwaige künftige Schadenersatzzahlungen leisten zu können. Der Vorsitzende des Bergbauausschusses im Landesparlament von Minas Gerais, Joao Vitor Xavier, sagte: "Es gibt sichere Arten, Bergbau zu betreiben. Das verringert allerdings die Gewinnspannen. Daher machen sie es lieber billiger - und setzen damit Leben aufs Spiel."
TÜV SÜD IM FOKUS
Bundesstaatsanwalt Jose Adercio Sampaio kritisierte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters, dass es den Behörden nicht gelungen sei, für die Hunderte von Dämmen zur Ablagerung von Bergwerksabraum im Land eine strengere Regulierung durchzusetzen. Der brasilianische Bergbau- und Energieminister Bento Albuquerque schlug in einem Zeitungsinterview eine Gesetzesänderung vor, die insbesondere der Sicherheitsüberprüfung mehr Gewicht einräumt.
Der TÜV Süd sagte den brasilianischen Ermittlern volle Unterstützung bei der Aufklärung der Katastrophe zu, deren Ursache noch nicht unklar ist. "Im September 2018 hat TÜV Süd im Auftrag von Vale eine Inspektion des Dammes durchgeführt. Dabei wurden nach unserem momentanen Kenntnisstand keine Mängel festgestellt", erklärte die Münchner Firma. Vale-Chef Fabio Schvartsman sagte im Fernsehen: "Wir haben uns zu 100 Prozent an die Standards gehalten, und das reichte nicht." Der Konzern werde künftig für Sicherheitsmaßnahmen sorgen, die weit über die geltenden Auflagen hinausgehen. Damit solle sichergestellt werden, dass "dies niemals wieder geschieht".
"NIE WIEDER"
Ein ähnliches Versprechen hatte er bereits zu seinem Amtsantritt 2017 abgegeben. Damals stand Vale noch unter dem Eindruck des Dammbruchs in der etwa 100 Kilometer von Brumadinho entfernt gelegenen Stadt Mariana im Jahr 2015. Dabei waren 19 Menschen gestorben. Zudem hatte giftiger Schlamm die Umwelt verpestet. Betreiber der dortigen Eisenerzmine war Samarco Mineracao, eine Gemeinschaftsfirma von Vale und dem australischen Bergbauriesen BHP Billiton. "Nie wieder Mariana", hatte sich Schvartsman auf die Fahnen geschrieben.
Dass es doch wieder zu einem solchen Unglück kam, dürfte für Vale erhebliche Konsequenzen haben. Analysten gehen davon aus, dass Schvartsman seine bisherige Geschäftsstrategie nicht fortsetzen kann. Sie sah vor, die - vor allem dank des gewaltigen Rohstoffhungers der Chinesen - erwirtschafteten Milliarden unter anderem in Zukäufe und satte Zahlungen an die Aktionäre zu stecken. Hier zog die Konzernführung bereits die Notbremse und beschloss, Dividenden, Aktienrückkäufe und Managerboni vorerst auf Eis zu legen. Die Ratingagentur S&P prüft nun eine Herabstufung von Vales Bonität, da dem Unternehmen hohe Strafen und teilweiser Lizenzentzug drohten. Die Gesamtkosten der neuerlichen Katastrophe ist Analysten zufolge noch nicht abzuschätzen. Die Vale-Aktie brach zu Wochenbeginn im vorbörslichen Handel weitere 16 Prozent ein.