- von Jan Schwartz
Hamburg (Reuters) - Für den mit Milliardenkosten aufgearbeiteten Dieselskandal bei Volkswagen macht der Konzern nun seinen früheren Vorstandschef Martin Winterkorn und den ehemaligen Audi-Chef Rupert Stadler persönlich verantwortlich.
Der VW-Aufsichtsrat beschloss am Freitag, von beiden ehemaligen Spitzenmanagern Schadensersatz wegen der Verletzung aktienrechtlicher Sorgfaltspflichten zu fordern. Darüber sollen nun Gespräche beginnen. Auch vier ehemalige Vorstände von Audi, Porsche und VW nimmt der Konzern wegen der Abgasmanipulation in Regress.
Bei seinem Beschluss stützte sich der Aufsichtsrat auf Untersuchungen einer Anwaltskanzlei, die in den vergangenen Jahren mehrere Millionen Dokumente, Dateien, Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft sowie behördliche und gerichtliche Verfahren auswertete und selbst mehr als 1500 Interviews und Vernehmungen führte. Die Ergebnisse ließen sich die VW-Kontrolleure an drei aufeinander folgenden Tagen von den Anwälten präsentieren. Danach stand nach Überzeugung des Aufsichtsrats fest, dass Winterkorn es in der Zeit ab dem 27. Juli 2015 unterlassen habe, die Hintergründe des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen in Dieselmotoren aufzuklären, die zwischen 2009 und 2015 in den USA verkauft wurden. Außerdem habe Winterkorn nicht dafür gesorgt, dass die in dem Zusammenhang von den US-Behörden gestellten Fragen umgehend wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet wurden.
Winterkorn, der den Autokonzern bis zu seinem Rücktritt im September 2015 führte, bedauerte die Entscheidung des Aufsichtsrats. Den gegen ihn erhobenen Vorwurf ließ er durch seinen Anwalt zurückweisen. Er sei überzeugt, in dem zur Rede stehenden Zeitraum alles Erforderliche getan und nichts unterlassen zu haben, den entstandenen Schaden zu vermeiden oder geringer zu halten. Er wolle nun den Dialog mit Volkswagen suchen.
Das Kontrollgremium würdigte "die beeindruckende Lebensleistung" sowohl von Winterkorn als auch von Stadler. So erfolgreich ihr Wirken auch gewesen sei, so habe es jedoch Aspekte gegeben, in denen beide "als Konzernvorstände nicht sorgfältig genug kontrollierten", schrieb das je zur Hälfte mit Vertretern der Kapital- und Arbeitnehmerseite besetzte Gremium in einem Brief an die Belegschaft, der Reuters vorlag. Dafür müsse der Aufsichtsrat die ehemaligen Manager nun in Regress nehmen.
VW: STADLER HÄTTE FRAGEN NACHGEHEN MÜSSEN
Der frühere Audi-Chef Stadler hat es nach Überzeugung des Aufsichtsrats nach Bekanntwerden des Skandals unterlassen, Fragen zu den Hintergründen der Manipulation nachzugehen. Stadler habe nach dem 21. September 2016 nicht dafür gesorgt, dass von der Ingolstädter VW-Tochter entwickelte große Dieselmotoren, die in EU-Fahrzeugen von VW, Audi und Porsche verbaut waren, auf unzulässige Softwarefunktionen untersucht wurden. Stadler muss sich wegen des Dieselskandals bereits seit Herbst vor dem Landgericht München verantworten. Zum Beschluss des VW-Aufsichtsrats äußerte sich seine Sprecherin nicht.
Auch die ehemaligen Vorstände Heinz-Jakob Neußer, Ulrich Hackenberg, Stefan Knirsch und Wolfgang Hatz hätten den Ergebnissen der Untersuchung zufolge ihre Sorgfaltspflichten verletzt, hieß es. Auch bei ihnen werde Schadenersatz geltend gemacht. Bei Neußer sei dies bereits geschehen.
Schadensersatzforderungen von Konzernen gegen Manager hat es schon einige gegeben. Oft enden solche Verfahren in außergerichtlichen Vergleichen. Der frühere Konzernchef und "Mister Siemens" Heinrich von Pierer akzeptierte vor einigen Jahren einen Strafbefehl wegen der Verletzung seiner Aufsichtspflicht in einem Schmiergeldskandal und zahlte fünf Millionen Euro Schadensersatz an Siemens.
BANDENMÄSSIGER BETRUG
Sowohl Winterkorn als auch Stadler haben mehrfach erklärt, nichts von dem Dieselbetrug gewusst zu haben. Winterkorn muss sich ab dem 16. September 2021 zusammen mit vier weiteren - VW-Managern vor dem Landgericht Braunschweig wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs verantworten. Volkswagen hatte auf Druck der amerikanischen Umweltbehörden vor fünfeinhalb Jahren zugegeben, millionenfach Diesel-Abgaswerte durch eine Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung manipuliert zu haben. Die Wiedergutmachung hat den Konzern bisher mehr als 32 Milliarden Euro gekosten, vor allem Strafen und Schadensersatzzahlungen in den USA. In Deutschland schloss Volkswagen mit mehr als 240.000 Geschädigten einen Vergleich, der den Konzern rund 800 Millionen Euro kostete. Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig läuft noch die Musterklage von Anlegern, die Schadensersatz für erlittene Kursverluste durch den Dieselskandal fordern.