- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Um die Energieversorgung Deutschlands auch im Winter zu sichern, weiten Bund und Länder ihre Notfallpläne aus.
Wirtschafts- und Verkehrsministerium legten eine Verordnung vor, mit der gegebenenfalls der Transport wichtiger Güter für die Energieversorgung auf der Schiene Priorität bekommen soll. Sachsen-Anhalts Wirtschaftminister Sven Schulze fordert, dass die Länder unbedingt über die Verteilung von Gas mitentscheiden. Unterdessen füllen sich die Gasspeicher, die eine wichtige Reserve für den möglichen Ausfall von Gaslieferungen aus Russland sind. Am Montag soll bekanntgegeben werden, wie hoch die Gasumlage sein soll, die die Gasimporteure entlasten soll.
Die Gasspeicher waren am Freitag nach Angaben von Bundesnetzagenturchef Klaus Müller zu 75,43 Prozent gefüllt - deutlich vor dem Zieldatum 1. September. Ab Oktober müssen die Speicher laut gesetzlichen Vorgaben zu 85 Prozent und am 1. November zu 95 Prozent gefüllt sein. Die Speicherfüllung ist ein Baustein dafür, dass in Deutschland bei weiter reduzierten oder ganz ausfallenden russischen Lieferungen der Gas-Fluss im Winter nicht versiegt. Weitere Faktoren sind Gas-Lieferungen anderer Länder etwa über LNG-Terminals sowie die Einsparung beim Gas-Verbrauch von 15 bis 20 Prozent. Dazu plant die Landesregierung Sachsen-Anhalt am Dienstag einen Krisengipfel mit Unternehmen. Die Bundesregierung will ebenfalls Dienstag Sparmaßnahmen vorstellen.
SACHSEN-ANHALT POCHT AUF MITSPRACHE BEI GAS-VERTEILUNG
Der Landeswirtschaftsminister Schulze sprach mit Blick auf die Füllung der Gasspeicher im Reuters-Interview von einer trügerischen Sicherheit: "Wenn Putin den Hahn komplett zudreht oder der Winter kälter wird, wird dies nicht ausreichen." Die Bundesregierung habe die zentrale Frage nicht beantwortet: "Woher kommt im Herbst und Winter das Gas, wenn Russland den Hahn zudreht?" Dies sei viel entscheidender als die Frage der Gasumlage und die Füllung der Gasspeicher. Aus Lieferverträgen mit Gas-Exporteuren wie Katar sei bisher nichts geworden. "Meine größte Sorge ist, dass die Bundesregierung es nicht schafft, für ausreichende Lieferungen zu sorgen." Bundeskanzler Olaf Scholz wird am Montag nach Norwegen reisen, einem der Gas-Hauptlieferländer Deutschlands.
Schulze forderte, die Bundesländer bei Gasmangel im Winter unbedingt über die Verteilung des Brennstoffes mitentscheiden zu lassen. "Es kann nicht sein, dass der Bund oder die Bundesnetzagentur allein darüber entscheidet, wer bei einer Krise kein Gas mehr bekommt", sagte der CDU-Politiker.
Die anhaltende Trockenheit bedroht aus Sicht des Verkehr- und des Wirtschaftsministeriums auch die Versorgungssicherheit. Denn vorübergehend soll Kohle und Öl als Ersatz für Gas eingesetzt werden. Wegen der niedrigen und weiter fallenden Pegelstände etwa auf dem Rhein droht die Belieferung von Kraftwerken und Firmen auf dem Wasserweg auszufallen. Deshalb soll eine Verordnung einen vorrangigen Transport auf der Schiene sicherstellen. Das geht aus einem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Papier beider Ministerien hervor. "Ziel ist es, den Betrieb von Kraftwerken, Raffinerien, Stromnetzen sowie von weiteren lebenswichtigen Betrieben sicherzustellen", heißt es darin. Mit der Rechtsverordnung können künftig für sechs Monate bevorzugt Trassen etwa für Mineralöl- und Kohletransporte reserviert werden.
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) begründet dies mit dem Niedrigwasser. "Das erschwert den nötigen Nachschub von Kraftwerkskohle und Mineralöl", teilte auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit. "Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, müssen wir daher zu ungewöhnlichen Maßnahmen greifen."
MIT SPANNUNG ERWARTETE GASUMLAGE
Im Fall der Gasumlage plädierte Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Schulze wie zuvor Kanzler Scholz für einen möglichst geringen Wert. "Je niedriger sie ausfällt, desto besser", sagte Schulze. Die Gasumlage soll zwischen 1,5 und fünf Cents je Kilowattstunde betragen. Sie soll in Schieflage geratene Gas-Importeure stabilisieren, ab dem 1. Oktober greifen und am 1. April 2024 enden.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bat unterdessen die EU-Kommission, bei der Gasumlage auf die Mehrwertsteuer verzichten zu können. Deutschland werde einen entsprechenden Antrag stellen, kündigt er in einem Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Schreiben an EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni an. "Die Mehrwertsteuer auf von der Regierung verhängte Abgaben treibt die Preise nach oben und stößt auf zunehmenden Widerstand in der Bevölkerung, besonders jetzt in der außergewöhnlichen Situation", heißt es darin. Lindner und Habeck hatten sich dafür ausgesprochen, keine Mehrwertsteuer auf die Gasumlage zu erheben.
(Mitarbeit: Christian Krämer; redigiert von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)