- von Toby Sterling und Hakan Ersen
Amsterdam/Frankfurt (Reuters) - Unter europäischen Schnell-Lieferdiensten steigt das Fusionsfieber.
Der milliardenschwere Kauf von Gorillas durch den türkischen Rivalen Getir ist Experten zufolge noch nicht das Ende der Fahnenstange. Denn die Branche, die in der Pandemie einen Boom erlebte, kämpfe nun mit einer schwächelnden Nachfrage und hohen Kosten. Den Überlebenden dieser Konsolidierungswelle winkten aber gute Geschäfte.
Die Unternehmen reduzierten Ausgaben und überschüssige Kapazitäten schneller als gedacht, sagt Analystin Catherine O'Neill von der Citigroup. Gleichzeitig wachse der Warenwert pro Lieferung. Die trüben Konjunkturaussichten blieben aber ein Risikofaktor. "Es ist noch unklar, wie diese Firmen eine Rezession überstehen werden." Gorillas hatte bereits vor Monaten Stellen gestrichen und sich aus einigen Ländern zurückgezogen. DoorDash, die Mutter des Rivalen Wolt, baut ebenfalls Jobs ab.
Auch Investoren werden vorsichtiger. Dem Datenanbieter Pitchbook zufolge pumpten Wagniskapitalgeber im laufenden Jahr bei zwei Transaktionen insgesamt 125 Millionen Dollar frisches Kapital in den Sektor. Im vergangenen Jahr seien es 1,3 Milliarden Dollar gewesen, verteilt auf 13 Deals.
Neben Zusammenschlüssen zwischen direkten Rivalen halte er auch verstärkte Kooperationen mit klassischen Essenslieferanten für möglich, sagte Larry Illg, der beim Technologie-Investor Prosus für den Lebensmittel-Sektor zuständig ist. Bereits jetzt können "Lieferando"-Kunden sämtliche Getir-Produkte über die deutsche Tochter von Just Eat Takeaway bestellen.
GETIR STEIGT ZUM EUROPÄISCHEN BRANCHENPRIMUS AUF
Mit dem Gorillas-Deal steige Getir zum Quasi-Monpolisten bei den Lebensmittel-Schnelllieferanten auf, sagt Silvio Peruci, Geschäftsführer der Analysefirma App Radar. Mit insgesamt 28 Millionen Downloads allein im Google Play Store liege die türkische Firma unangefochten an der Spitze. Hinzu kämen 2,4 Millionen Downloads der Gorillas-App. Sollte Getir den aktuellen Konjunkturabschwung meistern, werde das Unternehmen zu einer starken Kraft im Lebensmittel- und Logistik-Markt. Die größten direkten Konkurrenten sind die US-Firma GoPuffs und Flink aus Deutschland.
Getir, Gorillas & Co liefern Lebensmittel binnen weniger Minuten. Dazu bauen sie sogenannte "Dark Stores" auf, von denen die Produkte ihren Weg zu den Kunden finden. Gorillas betreibt etwa 180 dieser Stützpunkte, Rivale Flink 190. Letzterer sieht sich dank seiner engen Kooperation mit Rewe[REGRP.Ul] in Deutschland und Carrefour in Frankreich in einer guten Position. Die beiden Supermarkt-Ketten sind auch Flink-Teilhaber.
Vor dem Hintergrund des schwierigen Umfelds habe Flink einige unrentable Stützpunkte geschlossen und gehe bei der Expansion behutsamer vor, sagt Firmensprecher Boris Radke. Allerdings wachse die Zahl profitabler "Dark Stores" ebenso kontinuierlich wie die Umsätze. Analysten zufolge wirft ein Stützpunkt ab 500 bis 1000 Bestellungen pro Tag Gewinn ab.
ERFOLGVERSPRECHENDES GESCHÄFTSMODELL
Uneins sind sich Experten, ob sich "Quick Commerce" langfristig rechnet. Uber sieht seine Lebensmittel-Sparte Uber Eats zwar im kommenden Jahr als Wachstumstreiber. Eine Konzentration auf minutenschnelle Lieferungen beurteilt der Fahrdienst-Vermittler allerdings skeptisch. Auch einige Investoren hinterfragen das Geschäftsmodell.
Sajal Srivastava, Mitgründer des unter anderem bei Flink engagierten Wagniskapitalgebers TriplePoint, verweist dagegen auf das Wachstum der Branche und die verbesserte Wirtschaftlichkeit. "Allen Pessimisten, die sagen, dass der 'Quick Commerce' vorbei ist, sei gesagt: Nein, es wird ihn geben, und die Daten zeigen das."
(Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)