- von Markus Wacket und Marek Strzelecki
Berlin/Warschau (Reuters) - Das Problem schien Anfang Dezember endlich gelöst: Deutschland und Polen unterschrieben nach monatelangen Verhandlungen eine Vereinbarung, wonach die Länder sich gegenseitig bei der Öl-Versorgung stützen - rechtzeitig bevor das Embargo gegen russische Lieferungen zum Jahresbeginn griff.
Denn die Versorgung der Raffinerie Schwedt an der polnischen Grenze allein über den Hafen Rostock würde die Raffinerie nur zur Hälfte auslasten können - zuwenig, um Ostdeutschland einschließlich Berlins auf Dauer mit Benzin oder Diesel beliefern zu können. Doch fast zwei Monate später ist genau das der Fall: Schwedt läuft nur zu rund 55 Prozent. Dauer-Verträge zur Nutzung des polnischen Hafen Danzigs sind nicht bekannt. Und mit Sorge blickt die Region nun auf Sonntag: Dann gilt das EU-Embargo auch für russische Raffinerieprodukte wie Diesel und erhöht den Druck noch.
Dabei zieht sich das Ringen zwischen Deutschland und Polen seit Monaten zäh wie Rohöl. Wünsche, Probleme und Ziele beider Länder verschlingen sich wie das Rohrgeflecht der Raffinerie an der polnischen Grenze. Immer wieder gibt es Signale wie beispielsweise ein einzelner Tanker mit Rohöl in Danzig oder Lieferungen aus Kasachstan, die eine Lösung andeuten. Doch eine verlässliche Versorgung für Schwedt ist bislang nicht gefunden.
POLEN ZÖGERT MIT FESTEN ZUSAGEN BEIM HAFEN DANZIG
Über Jahrzehnte wurde Schwedt mit russischem Öl über die Pipeline Druschba versorgt. Jährlich wurden dort etwa zwölf Millionen Tonnen verarbeitet, damit etwa auch der Flughafen Berlin ausreichend Kerosin hat. Selbst Teile Westpolens gehören zum Versorgungsgebiet. Der russische Staatskonzern Rosneft hält 54 Prozent der Anteile, die allerdings seit letztem Jahr unter deutscher Treuhandschaft stehen. Shell mit rund 37 Prozent und die italienische Eni mit acht Prozent halten den Rest.
Polen sieht die deutschen Nöte bei der Versorgung: Über Rostock und mit Hilfe von sogenannten Fließ-Verbesserern sind allenfalls knapp 60 Prozent Auslastung möglich. Schwedt müsste aber mindestens mit 70 Prozent Kapazität arbeiten - besser mehr, wie die deutsche Seite einräumt. Die Spritpreise sind schon jetzt meist im Osten höher als im Westen.
Eine höhere Auslastung ließe sich erreichen, wenn Tanker in Danzig entladen würden und das Druschba-Leitungsnetz in polnischer Hand nutzten. Doch Polen sieht ein Problem und hat zudem eine Forderung. Das Problem: Trotz Treuhandverwaltung gehört Rosneft nach wie vor die Mehrheit an Schwedt. Die Russen zu beliefern, ist für Polen schwerlich denkbar. Die Forderung: Der polnische Ölkonzern Orlen, bei dem der Staat größter Anteilseigner ist, will bei Schwedt einsteigen. Beides ließe sich eigentlich lösen: Rosneft könnte enteignet werden, das lässt das deutsche Energie-Sicherungsgesetz grundsätzlich zu. Und Shell will seinen Raffinerie-Anteil ohnehin verkaufen, was die Tür für Orlen zusätzlich öffnen könnte.
Allerdings hat auch Deutschland Pläne mit Schwedt: Mittelfristig soll die Raffinerie mit Milliarden-Hilfe klimafreundlich werden. 2025 soll Wasserstoff am Standort produziert werden. Deutsche Unternehmen wie Enertrag und Verbio haben zudem Interesse an einem Einstieg angemeldet. Ein polnischer Konzern könnte da Probleme machen. Zumal die 1200 Beschäftigten den Poker um ihre Raffinerie mit Argwohn sehen.
In die deutschen Karten spielen könnten da Öl-Mengen aus Kasachstan, die zumindest in kleineren Mengen nun nach Deutschland fließen sollen. Diese müssen allerdings die Druschba-Pipeline nutzen, die über 2000 Kilometer über russisches und belarussisches Gebiet führt. Da stellt sich wie beim Gas die Frage einer sicheren Versorgung. Außerdem: Für die Transit-Mengen würde Russland Gebühren kassieren. Das stünde dem Sinn des Embargos entgegen.
RUND ZWÖLF PROZENT DES DIESELBEDARFS DECKTE RUSSLAND
Dringlich wird die große Lösung nun durch das EU-Diesel-Embargo ab 5. Februar: Laut dem Wirtschaftsverband Fuels und Energie (en2x) hat Deutschland den größten Teil seiner Diesel-Importe in den vergangenen Jahren aus Russland bezogen, 2022 waren es gut zwölf Prozent des Gesamt-Verbrauchs. Polen steht vor einem ähnlichen Problem. Dabei sind es wohl nicht einmal die Mengen, die Sorgen machen. Kanzler Olaf Scholz hatte im September beim Besuch in Abu Dhabi Zusicherungen für drei Millionen Tonnen Diesel erhalten. Damit ließe sich rechnerisch immerhin ein großer Teil der fehlenden Diesel-Menge decken. Schwieriger dürfte der Transport vor allem nach und in Ostdeutschland sein. Zwar verlängert die Regierung die Vorrang-Regelung für Energie-Transporte auf Schienen. Doch die Bahnen in Deutschland fahren am Kapazitätslimit, das Schienennetz ist ausgefahren und Kesselwagen sind knapp.
Der Verband en2x erwartet so zwar keine Versorgungslücke, aber das hat seinen Preis, sagt Verbandssprecher Alexander von Gersdorff. "Die niedrigere Produktion im Osten wird durch zusätzliche Produkttransporte kompensiert, was einen Mehraufwand darstellt." Ende Januar habe der Benzinpreis an den Tankstellen in Ostdeutschland rund 2,5 Cent und der Dieselpreis rund 1 Cent je Liter höher als im Bundesschnitt gelegen.
(Redigiert von Hans Seidenstücker; Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)