Reuters

50:50 oder Fallpauschale - Länder drängen bei Flüchtlingskosten

08.05.2023
um 13:57 Uhr

Berlin (Reuters) - Kurz vor dem Flüchtlingsgipfel am Mittwoch im Kanzleramt verschärft sich der Ton zwischen Bund und Ländern: Die Bundesländer werfen dem Kanzleramt in einem internen Papier falsche Berechnungen vor.

Faktisch habe der Bund seine Hilfen in den vergangenen Jahren trotz steigender Flüchtlingszahlen sogar zurückgefahren, heißt es in dem 15-seitigen Papier der Finanzministerkonferenz, das der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und NRW-Landesschef Hendrik Wüst (CDU) betonten nach einer Schalte mit den Kommunen, dass Städte und Gemeinden an der Seite der Landesregierungen stünden.

Am Mittwoch findet im Kanzleramt das Spitzentreffen der 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit Kanzler Olaf Scholz statt. "Also, wenn wir 50:50 (bei den Kosten) durchsetzen könnten, dann wäre das ein richtig großer Schritt in die richtige Richtung", sagte Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) den Sendern RTL/ntv. "Wir streiten uns auch natürlich darum, welche Kosten überhaupt in die Rechnung einbezogen werden." Klar sei, die Unterbringung, Betreuung und Beschulung von Flüchtlingen sei für Länder und Kommunen eine enorme Belastung.

"Länder und Kommunen stehen Seite an Seite! Es besteht Einigkeit, dass der Bund zurückkehren muss zu einem atmenden System der Flüchtlingsfinanzierung", teilte Niedersachsens Landeschef Weil nach der Schalte mit den Kommunen mit. Er ist auch Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. "Leider ignoriert die Bundesregierung bisher weitgehend die Lage vor Ort. Die Hilferufe aus Städten und Gemeinden werden aus Berlin abgetan", sagte auch NRW-Landeschef Wüst, der stellvertretender MPK-Vorsitzender ist.

Das Kanzleramt hatte in seiner Vorlage für die Abschlusserklärung des Bund-Länder-Treffens dagegen betont, dass man den Ländern bereits Milliarden Euro jährlich überweise, obwohl diese und die Kommunen zuständig seien. Die Bundesregierung spricht von 15,6 Milliarden Euro in diesem Jahr. "Hier geht es nicht um das Thema Geld", betonte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. "Aus unserer Sicht ist es notwendig, dass dieses Treffen eine Zeitenwende in der Migrationspolitik einleitet." Entscheidende Themen seien mehr Steuerung und Kontrolle, eine Beschleunigung der Asylverfahren, eine Ausweitung des Kreises der sicheren Herkunftsländer und ein verbesserter Außengrenzschutz der EU. Allerdings drängen in der Ampel-Regierung auch die Grünen, dass der Bund besonders betroffenen Kommunen mehr Geld überweist.

Am Sonntagabend war vom niedersächsischen Vorsitz des Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) ein Papier an die anderen 15 Länder versandt worden, dass die Argumentation des Bundes widerlegen soll. Bestritten wird grundsätzlich, dass der Bund über einen immer geringeren Anteil der Steuereinnahmen verfügt. "Nach der Abgrenzung der amtlichen Statistik betrug im Jahr 2021 der Anteil des Bundes am Steueraufkommen 41,2 Prozent, während der Länderanteil bei 40,5 Prozent liegt", heißt es in dem Papier. In dem Papier verweisen die Länder auch auf ständig steigende Asylbewerber-Zahlen. Die Zahl der Asylanträge (ohne Ukraine-Kriegsflüchtlinge) sei in den ersten drei Monaten 2023 nochmals 80 Prozent höher als vor Jahresfrist gewesen. In dem Papier wird die Darstellung des Bundes rundweg bestritten: "Der bisherige Höhepunkt von Bundesleistungen an die Länder im Rahmen der Flüchtlingsfinanzierung lag im Jahr 2016 bei 9,1 Milliarden Euro. Im Jahr 2023 gibt der Bund an Länder fluchtbedingte Leistungen von insgesamt 2,75 Milliarden Euro. Im Jahr 2024 fällt der Betrag auf 1,25 Milliarden Euro und bleibt nach geltendem Recht unverändert auf diesem Niveau."

Die Länder fordern vom Bund unter anderem eine Rückkehr zu einer Fallpauschale pro Flüchtling. "Aus einer Aktualisierung auf der jüngsten Datengrundlage ergäbe sich ein Betrag von ca. 1000 Euro je Flüchtling", heißt es in dem Papier.

(Bericht von Andreas Rinke, Alexander Ratz; redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)