Reuters

Neue Strategie - Ampel will mehr in Sicherheit investieren

14.06.2023
um 14:32 Uhr

- von Andreas Rinke und Alexander Ratz

Berlin (Reuters) - Angesichts der geopolitischen Veränderungen hat die Bundesregierung am Mittwoch erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie beschlossen.

In dem von Bundeskanzler Olaf Scholz und vier Ministerinnen und Ministern vorgestellten Papier bekennt sich die Ampel-Regierung zu einer verstärkten sicherheitspolitischen Rolle Deutschlands in der Welt. Die Verteidigungsausgaben sollen bis in die 2030er Jahre auf das Zwei-Prozent-Ziel der Nato-Staaten erhöht werden. Zugleich durchzieht das Papier der Wunsch nach weniger Abhängigkeit von autokratischen Ländern wie Russland oder China sowie die Suche nach neuen Partnern in der Welt. "Das heutige Russland ist auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum", erklärt die Bundesregierung in der Sicherheitsstrategie fest. Die möglichst enge Zusammenarbeit mit den USA und innerhalb der EU wird betont.

SPD, Grüne und FDP hatten sich erst mit erheblicher Zeitverzögerung auf die gemeinsame Strategie verständigt, die nach Angaben von Scholz "bald" durch eine eigene China-Strategie ergänzt werden soll. Er betonte, dass der Schutz der Menschen zentrale Aufgabe des Staates sei. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) unterstrich bei der gemeinsamen Vorstellung, dass für die Sicherheit Deutschlands eine "360-Grad-Perspektive" nötig sei. Die Strategie soll am Donnerstag den Ministerpräsidenten erläutert und nach den Planungen der Koalition am Freitag dann im Bundestag diskutiert werden.

Außenministerin Annalena Baerbock, die federführend bei der Ausarbeitung war, betonte einen sehr umfassenden Ansatz vom Katastrophenschutz, über die Entwicklungshilfe, den Kampf gegen Klimawandel und den Schutz der Infrastruktur bis hin zur Sicherung der Wasserversorgung. Sie verwies auf das enorme Interesse auch im Ausland an der deutschen Sicherheitsstrategie. "Unsere Partner sollen spüren, dass sie sich auf unser Land verlassen können - so wie wir uns lange auf andere verlassen haben", fügte sie hinzu.

Sowohl Scholz als auch Baerbock unterstrichen, dass die deutsche Strategie sich in die Diskussion mit Partnern einfüge. Zum einen sei das Papier "nicht Endpunkt, sondern Start" einer breiten gesellschaftlichen Debatte, betonte der Kanzler. "Und die Sicherheitsstrategie wird nur funktionieren, wenn wir sie europäisch und transatlantisch verankern", sagte Baerbock. Der am 24. Februar 2022 gestartete russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe gezeigt, "dass Frieden und Freiheit nicht vom Himmel fallen".

AMPEL BEKENNT SICH ZU STEIGENDEN MILITÄRAUSGABEN

Ein zentrales Element ist deshalb das Bekenntnis, "im mehrjährigen Durchschnitt" zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. "Wir müssen aus der Zeit der Friedensdividende in die Freiheits- und Friedensinvestitionen kommen", sagte FDP-Chef Lindner. Zunächst solle dies durch die Kombination des Bundeshaushalts mit Ausgaben aus der Sonderkreditlinie über 100 Milliarden Euro für eine bessere Bundeswehr-Ausstattung erreicht werden. Gegen Ende des Jahrzehnts müsse sich dies aber auch im normalen Haushalt abbilden, betonten sowohl Kanzler Scholz, Finanzminister Lindner als auch Verteidigungsminister Boris Pistorius. Die im Koalitionsvertrag noch erwähnte Koppelung der Steigerung der Verteidigungs- und Entwicklungsausgaben im Verhältnis eins zu eins findet sich nicht mehr.

Die Regierung will einerseits die Kapazitäten etwa bei der Cyberabwehr und im Weltraum ausbauen, andererseits Risiken in der Zusammenarbeit mit Ländern wie China reduzieren. Dazu sollen Unternehmen Anreize bekommen, Reserven an kritischen Rohstoffen anzulegen, wie dies in Ländern wie Japan bereits der Fall ist. "In den Bereichen, wo wir maximal verwundbar sind, müssen wir uns anschauen, ob das unsere Sicherheit gefährdet", sagte Baerbock mit Blick auf Lieferketten. Sie nannte als sensible Sektoren beispielsweise Rohstoffe für den Bau von Solaranlagen oder Windräder und Medikamente. Innenministerin Nancy Faeser verwies darauf, dass der Bund ein Zentrum für die bessere Abwehr von Cyberangriffen schaffen wolle. Dies war zuletzt mit den Bundesländern wegen deren Zuständigkeiten umstritten.

Fallen gelassen wurde von der Ampel die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrates zur besseren Koordinierung der Außen- und Sicherheitspolitik. Dies scheiterte vor allem an der ungeklärten Frage, wo ein solches Gremium angesiedelt sein könnte.

Eine Änderung gegenüber dem Koalitionsvertrag deutet sich bei Rüstungsexporten an Drittländer an. Eigentlich hatten die Grünen und die SPD-Linken den Kurs verschärfen wollen. Nun sagte Scholz, dass es bei dem geplanten neuen Gesetz zwar bei strengen Vorgaben bleibe. "Aber die strategischen Fragen werden mit berücksichtigt", fügte der Kanzler hinzu. Baerbock verwies darauf, dass auch ihre Partei bei dem Thema umdenke, was etwa die Waffenlieferungen an die Ukraine zeigten. "Eine verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik berücksichtigt... auch unsere Bündnis- und Sicherheitsinteressen, geostrategische Herausforderungen, die Unterstützung von Partnern, die unmittelbaren Bedrohungen ausgesetzt sind, und die Anforderungen einer verstärkten europäischen Rüstungskooperation", heißt es in der Strategie. Hintergrund ist etwa eine rüstungspolitische Zusammenarbeit mit Ländern wie Indien.

(Bericht von Alexander Ratz, Andreas Rinke; Redigiert von Hans Seidenstücker; Bei Rückfragen wenden Sie sich an berlin.newsroom@tr.com)