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Bundesbank - EZB-Inflationsziel für Gewerkschaften in Lohnrunden nicht mehr relevant

21.08.2023
um 12:07 Uhr

Frankfurt (Reuters) - Das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent ist laut einer Bundesbank-Umfrage für die Gewerkschaften in den jüngsten Lohnabschlüssen wegen des anhaltenden Preisschubs kaum noch von Bedeutung gewesen.

Das Verhalten der Gewerkschaften habe sich gewandelt, erläuterte die Bundesbank in ihrem am Montag veröffentlichten Monatsbericht. In den Tarifabschlüssen im Winter 2022/2023 habe das Zwei-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) für sie anders als zuvor gar keine Rolle mehr gespielt. "Auch der Vergleich mit der im Niedriginflationsumfeld 2016 durchgeführten Umfrage weist auf einen Bedeutungsverlust des Zwei-Prozent-Inflationsziels in den jüngeren Lohnverhandlungen hin", hieß es im Monatsbericht. Im Jahr 2016, als die Inflation im gesamten Euroraum noch sehr niedrig war, hat dagegen laut Bundesbank noch rund ein Viertel der befragten Gewerkschafter das EZB-Inflationsziel in den damaligen Lohnabschlüssen berücksichtigt.

Die Bundesbank hält es für besorgniserregend, sollten die Inflationserwartungen der Gewerkschaften dauerhaft die Zielmarkte der Währungshüter übersteigen. "Denn dadurch würde sich das Risiko erhöhen, dass sich die hohen Inflationsraten stärker als bisher angenommen verfestigen", hieß es im Monatsbericht.

Sowohl für die Gewerkschaften als auch für die Arbeitgeber seien in den Tarifrunden seit Frühjahr 2022 laut Umfrage die tatsächliche und noch mehr die erwartete Inflation ausschlaggebend gewesen. Das EZB-Ziel von zwei Prozent habe 2022 deutlich an Relevanz als Anker in den Tarifverhandlungen verloren. Experten zufolge würden die Währungshüter geldpolitisch vor schwere Probleme gestellt, sollten sich die Inflationserwartungen dauerhaft vom Zwei-Prozent-Ziel entfernen. Denn dann würde es für die EZB deutlich schwieriger, mit ihren Instrumenten die Zielmarke wieder zu erreichen.

Laut Bundesbank haben die Tariflohnzuwächse 2022 die Inflation nur teilweise ausgeglichen, was zu Reallohnverlusten führte. Mit Lohnnachschlägen nach 2023 hätten im Sommer 2022 nur wenige gerechnet. Mittlerweile seien aber die Sorgen um die Arbeitsplatzsicherheit zurückgegangen. Zudem hätten die bisherigen staatlichen Hilfen die Frage nach einem weiteren Reallohnausgleich zeitlich nach hinten geschoben. "Es besteht also auch deswegen ein potenzielles Aufwärtsrisiko für die Lohnentwicklung in Deutschland."

Die Bundesbank befragte in ihrer Umfrage 29 Verhandlungsführer, Verhandlungsbeteiligte sowie Industrie- und Gewerkschaftsvolkswirte zu den Lohnrunden im Frühjahr und Sommer 2022 sowie zu denjenigen im Winter 2022/23. Davon gehörten 15 den Gewerkschaften an, 14 den Arbeitgeberverbänden.

(Bericht von Frank Siebelt, redigiert von Hans Seidenstücker; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)