Berlin (Reuters) - Die Bundesländer haben die Bundesregierung und die EU-Kommission eindringlich aufgefordert, rasch der Einführung eines Industriestrompreises zuzustimmen.
"Im Herbst finden Investitionsrunden in den Unternehmen statt, die für die folgenden Jahre wichtig sind", sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Donnerstag in Brüssel. Angesichts der hohen Energiepreise drohe ohne eine Entlastung ein echter Substanzverlust der deutschen Wirtschaft. Ähnlich scharf äußerten sich neben NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) auch andere Länderchefs. Alle 16 führten am Mittwoch und Donnerstag gemeinsam Gespräche mit der EU-Kommission in Brüssel.
Weil warnte auch in Richtung Bundesregierung und Bundeskanzler Olaf Scholz, dass man die Folgewirkungen nicht unterschätzen dürfe, wenn man den energieintensiven Sparten jetzt nicht helfe. Wenn die Firmen zu dem Schluss kämen, dass sie in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sein könnten, würden als erstes die Investitionen auslaufen, dann die Kapazitäten gekappt und dann sei die Existenz hochgradig gefährdet. Die Unternehmen in der Chemie-, Stahl-, Kupfer-, Aluminium-, Papier-, Keramik- oder Glassparten seien aber Teile wichtiger Wertschöpfungsketten in Deutschland, die wegbrechen könnten.
Wüst hatte am Morgen deshalb sowohl die Einführung eines Industriestrompreises als auch die Absenkung der Stromsteuer gefordert. "Wir brauchen eine Mischung aus beiden", sagte der CDU-Politiker am Donnerstag im ZDF. "Sonst gehen Monat für Monat Industriearbeitsplätze verloren." Während der abgesenkte Strompreis für die energieintensiven Unternehmen sein sollte, würde eine abgesenkte Stromsteuer andere Firmen entlasten. Es gebe bereits jetzt einen deutlichen Kapitalabfluss, sagte Wüst im Deutschlandfunk.
Weil und Wüst betonten, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die EU-Kommissare verstünden, wie wichtig die deutsche Industrie auch für die Europäische Wirtschaft sei. In der EU-Kommission gibt es dennoch Skepsis gegen einen subventionierten Industriestrompreis in Deutschland. Niedersachsens Ministerpräsident betonte, dass man die Kommission gebeten habe, sich mit dem Thema zu beschäftigen, obwohl die Bundesregierung noch keine Entscheidung getroffen habe. Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) lehnen einen Industriestrompreis und verweisen unter anderem auf die hohen Kosten, die der Bund übernehmen müsste. Die SPD und die Grünen fordern ihn. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bedankte sich für die Unterstützung der Länder.
In einer am Donnerstag veröffentlichten "Brüsseler Erklärung" dringen die 16 Länderchefs darauf, dass die EU-Kommission den Mitgliedstaaten für einen Übergangszeitraum ermöglichen solle, "einen wettbewerbsfähigen Brückenstrompreis vor allem für energieintensive und im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen zu etablieren, bis bezahlbare erneuerbare Energien in hinreichendem Umfang zur Verfügung stehen".
WIDERSTAND AUS UNION UND VON MASCHINENBAUERN
Widerstand gegen den Industriestrompreis kommt aus der Unions-Bundestagfraktion: "Eine solche Subvention hilft nur wenigen, erfordert ein langes Genehmigungsverfahren bei der EU-Kommission und erzeugt auch noch neue Bürokratie", sagte der CSU-Finanz- und Wirtschaftsexperte Sebastian Brehm. "Wir brauchen aber rasche Abhilfe, die wir durch einfache Stromsteuersenkung aus eigener Kraft schaffen können", fügte er hinzu. "Insbesondere der Einbruch von 11,4 Prozent in den fünf energieintensiven Industriebranchen ist ein deutliches Warnsignal, das schnelles Handeln fordert."
Die deutschen Maschinenbauer warnen vor einer Wettbewerbsverzerrung im EU-Binnenmarkt. "Ein derartiger Brückenstrompreis für Deutschland konterkariert einen europäischen Ansatz, globale Probleme wie zum Beispiel die hohen Energiekosten gemeinsam anzugehen" kritisierte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.
(Bericht von Andreas Rinke, Christian Krämer; redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)