- von Alexandra Schwarz-Goerlich
Wien (Reuters) - Europa muss sich nach Ansicht von Verbund-Chef Michael Strugl langfristig auf volatile Energiemärkte und höhere Preise einstellen.
"Unruhe auf den Energiemärkten ist das neue Normal", sagte der Chef von Österreichs größtem Stromkonzern in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. Aktuell sorge die Angst vor einer Ausweitung des Konflikts im Nahen Osten für Unsicherheit und Volatilität auf den Märkten. Zu massiven Verwerfungen sei es aber bisher nicht gekommen. "Bisher sind die Commodities von Strom und Gas leicht nach oben gegangen, Öl ein bisschen, aber nicht in dem Ausmaß", sagte Strugl. Weitere Prognosen seien schwierig. "Richtig ist, wenn sich der Konflikt ausbreitet in die Fläche, kann es einen Impact auf die Energiemärkte geben".
Nach Angaben der Trading-Abteilung des Verbund sind die Großhandelspreise für Strom in den ersten Tagen nach dem Angriff der radikal-islamischen Palästinensergruppe Hamas in Israel von 115 Euro auf 130 Euro je Megawattstunde (MWh) gestiegen. Der Westen sei aber heute wesentlich geringer von Öl aus dieser Region abhängig als bei früheren Krisen, betont Strugl. "Mittlerweile sehen wir nicht nur eine stärkere Diversifizierung bei Energieträgern, sondern auch regional eine stärkere Streuung der Bezugsquellen."
Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs sei Energie generell teurer geworden, konstatierte der Manager des mehrheitlich im Staatsbesitz stehenden Konzerns. "Unsere Einschätzung ist, dass wir das Preisniveau, das wir aus früheren Zeiten kannten, nicht mehr sehen werden". Russlands Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 hatte die Großhandelspreise für Gas und Strom in die Höhe schnellen lassen. Auch wenn der Strompreis zuletzt wieder sank, liegt er im langfristigen Schnitt derzeit ungefähr doppelt so hoch wie vor Kriegsausbruch.
Für Stabilität kann nach der Ansicht des Verbund-Chefs der Ausbau der Erneuerbaren Energien sorgen. "Wenn der Erneuerbaren Ausbau und der Netzausbau massiv vorangetrieben werden und die Flexibilität in Form von zusätzlichen Speicherkapazitäten ausgebaut wird, dann trägt das alles bei, um Schwankungen besser ausgleichen zu können", sagte Strugl. Je mehr "günstiger Strom" erzeugt werde, desto stärker werde sich das auf das Preisniveau auswirken. Zum Ausgleich und für die Stabilität brauche es aber Gaskraftwerke. Im Idealfall würden die Gaskraftwerke in Zukunft mit Wasserstoff "grün" gemacht. Der Verbund ist nach eigenen Angaben einer der größten Erzeuger von Strom aus Wasserkraft in Europa. Das Unternehmen betreibt in Österreich und Bayern rund 130 Wasserkraftwerke.
STRUGL: IN KRISENZEITEN BRAUCHT ES STAATLICHE EINGRIFFE
Eines habe man aus der Preis-Explosion in den Vorjahren gelernt, sagte Strugl. Der Markt habe zwar grundsätzlich funktioniert, in Krisensituationen brauche es aber politische Interventionen. "Ob das jetzt in der Vergangenheit alles gut funktioniert hat oder treffsicher war, darüber kann man diskutieren". Die Vorschläge der EU-Kommission für eine Reform des Marktes würden jedenfalls in die richtige Richtung gehen: "Man bleibt bei der Merit-Order, baut aber Mechanismen ein, die verhindern sollen, dass es zu solchen Ausschlägen kommt". Beim Merit-Order-Prinzip bestimmt der Preis des teuersten Energieträgers den Marktpreis.
"Wir haben selbst vorgeschlagen, in Krisenzeiten temporär in den Markt einzugreifen und den Gaspreis vom Strompreis zu entkoppeln", so Strugl. Das hätte nach Ansicht des Verbund-Chefs inflationsdämpfend gewirkt und die sogenannten Übergewinne der Energiekonzerne wären in dieser Höhe erst gar nicht entstanden. Die Verhandlungen in der Europäischen Union über die Reformpläne sollen bis zum Frühjahr abgeschlossen sein.
STREIT UM STROMPREISERHÖHUNG - VERBUND SORGT VOR
Im Streit um die Preiserhöhung vom Frühling 2022 hatte Verbund zuletzt eine weitere gerichtliche Niederlage erlitten. Das Oberlandesgericht Wien bestätigte in zweiter Instanz, dass die für die Erhöhung herangezogene Klausel unzulässig sei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Verbund will beim Obersten Gerichtshof Revision einlegen. Sollte das Unternehmen auch in dritter Instanz verlieren, hätten die rund 350.000 betroffenen Kunden Anspruch auf Rückerstattung.
"Was wir dringend brauchen ist eine Rechtsgrundlage, die vor Gericht hält", sagte Strugl. "Der Gesetzgeber und der zuständige Minister werden aber nicht aktiv", kritisierte er. Das Urteil des OGH könne er nicht vorwegnehmen, aber für mögliche Ansprüche habe der Konzern Vorsorge in Höhe von 100 Millionen Euro getroffen. "Wir gehen davon aus, dass wir damit das Auslangen finden werden".
(Bericht von Alexandra Schwarz-Goerlich, redigiert von Ralf Banser und Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)