Reuters

Kritik an Israel wegen geforderter Evakuierung von Gaza-Stadt

13.10.2023
um 17:32 Uhr

- von Henriette Chacar und Michelle Nichols

Jerusalem/New York/Tel Aviv (Reuters) - Das israelische Militär fordert vor einer möglicherweise bevorstehenden Bodenoffensive die Palästinenser zur Evakuierung von Gaza-Stadt auf.

Die Zivilbevölkerung solle sich binnen 24 Stunden in den Süden des Gazastreifens begeben, erklärte das Militär am Freitagmorgen. Betroffen davon wären mehr als eine Millionen Menschen. Das Palästinenser-Hilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) erklärte, eine Evakuierung der gesamten Zivilbevölkerung sei unmöglich, die Energieversorgung sei gestört, es gebe wegen der israelischen Abriegelung zudem kaum Wasser und Nahrungsmittel.

Stattdessen wurden Forderungen nach der Schaffung sicherer Zonen für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen lauter. Darüber sprach auch US-Außenminister Antony Blinken Regierungskreisen zufolge mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Bei dem Treffen am Donnerstag sei die Notwendigkeit erörtert worden, das Leben von Zivilisten im dicht besiedelten Gazastreifen zu schützen und einige sichere Gebiete einzurichten, in die Zivilisten umsiedeln könnten, um vor Israels legitimen Sicherheitseinsätzen geschützt zu sein, sagte ein Vertreter des US-Außenministeriums am Freitag. Die radikal-islamische Palästinenser-Organisation Hamas, die im Gazastreifen herrscht, forderte die Bewohner auf, an Ort und Stelle zu bleiben und kündigte an, bis zum Ende zu kämpfen.

Blinken traf am Freitag in der jordanischen Hauptstadt Amman mit Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas zusammen. Dabei wandte sich Abbas strikt gegen eine Evakuierung in Gaza. Dies wäre vergleichbar mit dem Jahr 1948, als Hunderttausende Palästinenser aus dem Gebiet des heutigen Israels vertrieben worden seien, sagte Abbas. Abbas forderte stattdessen, Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu ermöglichen. Die israelische Regierung hat erklärt, an der Blockade festhalten zu wollen, bis die Hamas die verschleppten Geiseln freigelassen habe. Nach Angaben des Roten Kreuzes droht den Krankenhäusern in Gaza, der Strom auszugehen.

Laut Vereinten Nationen sind seit Beginn der israelischen Vergeltungsschläge nach dem Hamas-Großangriff am vergangenen Samstag bereits mehr als 400.000 Menschen aus ihren Wohnungen im Gazastreifen geflohen. 23 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen seien getötet worden, teilte das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der UN (OCHA) mit.

"PERFIDES KALKÜL"

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte die Hamas auf, das Leben der Geiseln im Gazastreifen zu verschonen. "Lassen Sie diese unschuldigen Menschen... frei", sagte Baerbock am Freitag bei einem Besuch in Netiwot im Süden Israels. "Ich appelliere an all diejenigen, die über direkte Gesprächskanäle und Kontakte verfügen, sich für die Freilassung dieser unschuldigen Menschen... einzusetzen", fügte Baerbock bei einer Pressebegegnung mit dem israelischen Außenminister Eli Cohen hinzu. Im Gazastreifen befinden sich rund 150 Geiseln, darunter soll auch eine einstellige Zahl von Deutschen sein.

Der Hamas warf Baerbock vor, letztlich alle Menschen im Gazastreifen als Geiseln genommen zu haben. "Das Vorgehen der Hamas ist durch nichts zu rechtfertigen", sagte die Grünen-Politikerin. "In ihrem perfiden Kalkül verschanzt sich Hamas jetzt hinter weiteren unschuldigen Menschen und missbraucht auch diese in Gaza als Schutzschilde." Ihre Tunnel, ihre Waffenlager, ihre Kommandozentralen befänden sich ganz bewusst in Wohnhäusern, Supermärkten, Universitäten und womöglich auch in Krankenhäusern. "Das stellt alle, die den Terror bekämpfen wollen, vor unglaubliche Herausforderungen."

"FAKE-PROPAGANDA"

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in dem von der Hamas beherrschten Gazastreifen sind bei israelischen Luftangriffen seit vergangenem Samstag bislang 1799 Palästinenser getötet und 6388 verletzt worden. Laut Hamas wurden bei israelischen Luftangriffen auch 13 Geiseln aus Israel getötet. Unabhängig überprüfen ließ sich dies nicht. Der militärische Arm der Hamas, die Kassam-Brigaden, teilten mit, sie hätten 150 Raketen auf die israelische Stadt Aschkelon nördlich des Gazastreifens abgefeuert, "als Antwort auf die Vertreibung und den Beschuss von Zivilisten". Israel reagiert mit seinem Vorgehen auf den Gewaltexzess der Hamas, bei dem am Samstag vergangener Woche mehr als 1300 vornehmlich Zivilisten getötet worden waren. Dabei gingen die Hamas-Kämpfer äußerst brutal vor.

Das israelische Militär teilte weiter mit, die Armee werde in den kommenden Tagen in Gaza-Stadt in beträchtlichem Maße vorgehen. Die Bewohner könnten erst zurückkehren, wenn dies mitgeteilt werde. Ein Vertreter der Hamas bezeichnete den Aufruf Israels als "Fake-Propaganda", die Verwirrung unter den Bürgern stiften solle. Er forderte die Einwohner auf, nicht darauf hereinzufallen.

(Mitarbeit von Humeyra Pamukv, Alexander Ratz; Bearbeitet von Myria Mildenberger und Alexander Ratz; redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)