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EZB-Chefvolkswirt erwartet vorerst keine Abkehr von hohen Zinsniveaus

17.10.2023
um 07:47 Uhr

Frankfurt (Reuters) - Die EZB wird laut ihrem Chefvolkswirt Philip Lane im Kampf gegen die Inflation voraussichtlich noch länger die Zinsen auf einem hohen Niveau belassen.

Es sei zwar davon auszugehen, dass die Teuerung im Euroraum bis 2025 zur Notenbank-Zielmarke von zwei Prozent zurückkehre, sagte Lane der niederländischen Zeitung "Het Financieele Dagblad" in einem am Montag veröffentlichten Interview. Doch er fügte hinzu: "Nur wenn wir hinreichend sicher sind, dass wir dieses Ziel erreichen, können wir die Geldpolitik normalisieren. Aber das liegt noch ein ganzes Stück von dem entfernt, wo wir uns jetzt befinden." Im September lag die Inflation in der 20-Ländergemeinschaft bei 4,3 Prozent. Das ist immer noch mehr als doppelt so hoch wie das Notenbank-Ziel.

Lane schloss in dem Interview auch nicht aus, dass die EZB auch noch mal nachlegen könnte. Sie werde die Zinssätze so lange wie nötig hoch halten, sagte er. "Wenn wir Inflationsschocks haben, die hinreichend groß oder hinreichend hartnäckig sind, müssen wir offen sein, mehr zu tun." Zugleich wies der oberste EZB-Ökonom aber auch darauf hin, dass von den bisherigen Zinsanhebungen noch nicht alle Auswirkungen die Wirtschaft vollständig erreicht hätten.

Er persönlich benötige noch mehr Informationen über die Lohnabschlüsse für 2024, führte Lane aus. Die EZB werde noch bis zum Frühjahr warten müssen, bevor in vielen Ländern diese Informationen veröffentlicht werden. "Es wird also noch einige Zeit dauern, bis wir ein hohes Maß an Zuversicht haben können, dass die Inflation auf dem Weg zurück zu zwei Prozent ist." Die Welt sei voller Unsicherheiten. "Es gibt Risiken auf beiden Seiten, aber wir sehen immer noch relativ hohe Lohnzuwächse, und es gibt immer noch einige Bereiche der Wirtschaft, in denen es Preiserhöhungen gibt." Die EZB werde für einen längeren Zeitraum auf der Hut sein.

Die Euro-Wächter haben seit Sommer 2022 die Schlüsselzinsen um insgesamt 4,50 Prozentpunkte angehoben - zuletzt im September um einen viertel Prozentpunkt. Das war die zehnte Anhebung in Serie. Der am Finanzmarkt richtungsweisende Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, liegt damit inzwischen bei 4,00 Prozent. Am Finanzmarkt wird zwar davon ausgegangen, dass die EZB die Zinsen bis zum Jahresende nicht noch weiter erhöhen wird. Aus den Kursen am Geldmarkt geht aber hervor, dass manche Investoren erste Zinssenkungen bereits im Frühjahr 2024 für möglich halten.

(Bericht von Frank Siebelt, redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)