Reuters

Israel weckt Zweifel an bevorstehender Bodenoffensive in Gaza

17.10.2023
um 12:42 Uhr

- von Nidal al-Mughrabi und Humeyra Pamuk und Andreas Rinke

Tel Aviv/Gaza/Berlin (Reuters) - Das israelische Militär will eigenen Angaben zufolge im Gazastreifen nicht unbedingt zu einer Bodenoffensive übergehen.

"Wir bereiten uns auf die nächsten Kriegsphasen vor", sagte ein Militärsprecher am Dienstag in Jerusalem. "Wir haben bisher nicht mitgeteilt, worum es sich handelt. Alle sprechen von einer Bodenoffensive. Es kann auch etwas anderes sein." Als Reaktion auf den Angriff der radikal-islamischen Hamas vom 07. Oktober bei dem rund 1300 Israelis - zumeist Zivilisten - getötet wurden, wird allgemein damit gerechnet, dass die israelische Armee in den Gazastreifen vorrückt. Das palästinensische Küstengebiet wird von der Hamas kontrolliert.

In einer diplomatischen Offensive haben vor allem die USA, aber auch Deutschland in den vergangenen Tagen immer wieder betont, Israel habe zwar das Recht und auch die Pflicht, seine Bevölkerung zu schützen. Allerdings müssten jegliche Maßnahmen im Rahmen des Völkerrechts sein. Israel hat den Gazastreifen abgeriegelt und die Bevölkerung im Norden aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Dies wurde vor allem in der arabischen Welt scharf kritisiert. Die humanitäre Lage in Gaza ist ohnehin angespannt, auch weil Israel das Gebiet kontinuierlich unter Beschuss nimmt. Befürchtet wird, dass eine Bodenoffensive die Lage erheblich verschlimmern würde.

"DIE REGION STEHT AM ABGRUND"

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte vor seiner Reise nach Israel, ein Flächenbrand in der Region müsse verhindert werden. "Ich warne die Hisbollah und den Iran ausdrücklich vor einem Eingreifen in den Konflikt", sagte Scholz nach einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah in Berlin. Deutschland stehe "unverbrüchlich" an der Seite Israels. Beide forderten angesichts der anhaltenden Kämpfe zwischen Israel und radikalen Palästinensern und der dramatischen Versorgungslage der Menschen im Gazastreifen eine intensive Krisen-Diplomatie. Abdullah warnte: "Die Region steht am Abgrund." Er mahnte, Zivilisten müssten auf beiden Seiten geschützt werden.

Zudem forderte Abdullah, Palästinenser aus dem Gazastreifen dürften nicht in andere Länder wie Jordanien oder Ägypten vertrieben werden. Dies sei eine "rote Linie". Das Problem müsse im Gazastreifen selbst gelöst werden. Ein Drittel der Bevölkerung Jordaniens sei bereits palästinensischer Herkunft. Scholz brach im Anschluss am Vormittag zu einem Solidaritäts-Besuch nach Israel auf und wollte von dort aus nach Ägypten weiterreisen. Am Mittwoch wird auch US-Präsident Joe Biden in Israel erwartet. Den Besuch hatte Außenminister Antony Blinken nach einem Treffen mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angekündigt.

IRAN WIRFT ISRAEL "VÖLKERMORD" VOR

Netanjahu habe ihm zugesichert, er werde einen Plan entwickeln, um humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza zu organisieren, sagte Blinken. Möglich wäre dies am Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten, der allerdings nach wie vor geschlossen ist. Auf ägyptischer Seite stehen mittlerweile tonnenweise Hilfsgüter bereit, die Israel aber nicht in den Gazastreifen liefern lässt, weil davon auch die Hamas profitieren könnte. Andererseits haben sich auf Gaza-Seite zahlreiche Doppelstaatler versammelt, um das Gebiet Richtung Ägypten verlassen zu können. Die Regierung in Kairo fürchtet, dass damit auch zahlreiche Palästinenser nach Ägypten flüchten könnten und lässt Einreisen derzeit nicht zu.

Irans geistliches und staatliches Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei warf Israel vor, im Gazastreifen einen "Völkermord" zu begehen, der "sofort" beendet werden müsse. "Wir müssen antworten, wir müssen reagieren auf das, was in Gaza geschieht", sagte Chamenei im staatlichen Fernsehen. Iran gilt als Erzfeind Israels und unterstützt die Hamas. Im Libanon unterhält das Mullah-Regime die Extremistenorganisation Hisbollah, die regelmäßig den Norden Israels beschießt. Bei den israelischen Luftangriffen auf Gaza sind seit dem 07. Oktober bislang mehr als 2800 Palästinenser getötet worden, ein Viertel davon Kinder. Etwa die Hälfte der 2,3 Millionen Bewohner des Gazastreifens haben ihr Zuhause verlassen.

(Mitarbeit: Parisa Hafezi; Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Kerstin Dörr; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)