Reuters

Hektische Vermittlungsversuche vor drohender Nahost-Eskalation

17.10.2023
um 17:32 Uhr

- von Nidal al-Mughrabi und Andreas Rinke und Humeyra Pamuk

Tel Aviv/Gaza (Reuters) - Angesichts einer möglichen israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen gegen die Hamas und eines befürchteten Eingreifens der Hisbollah-Miliz verstärken sich die internationalen Vermittlungsversuche.

Bundeskanzler Olaf Scholz traf am Dienstag in Tel Aviv ein, US-Präsident Joe Biden wird dort am Mittwoch erwartet. Jordanien wiederum wird Staatsmedien zufolge am Mittwoch einen Vierer-Gipfel ausrichten, zu dem Biden, der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sissi und Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas erwartet werden. Im Gespräch ist auch ein Gipfeltreffen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs in Ägypten am Samstag, gegen das es angesichts der derzeitigen Besuche auch Einwände gibt.

Nach wie vor herrscht Unklarheit, ob die israelische Armee mit einer Bodenoffensive in den Gazastreifen einrücken will. "Wir bereiten uns auf die nächsten Kriegsphasen vor", sagte ein Militärsprecher am Dienstag in Jerusalem. "Wir haben bisher nicht mitgeteilt, worum es sich handelt. Alle sprechen von einer Bodenoffensive. Es kann auch etwas anderes sein." Israels Regierung hatte angekündigt, die radikal-islamischen Hamas nach deren Angriff am 7. Oktober zu vernichten. Bei den Attacken der Hamas wurden rund 1300 Israelis - zumeist Zivilisten - getötet. Die israelische Armee hatte darauf mit Luftangriffen auf Hamas-Stellungen im Gazastreifen und nach eigenen Angaben auch mit einigen Kommandoaktionen reagiert, um Hamas-Anführer zu töten. Bei den israelischen Luftangriffen auf Gaza sind seit dem 07. Oktober bislang mehr als 2800 Palästinenser getötet worden. Das palästinensische Küstengebiet mit mehr als 2,3 Millionen Einwohnern wird von der Hamas kontrolliert.

KÖNIG ABDULLAH - REGION STEHT AM ABGRUND

Kanzler Scholz hatte vor seinem Besuch in Israel und später Ägypten in Berlin noch den jordanischen König Abdullah empfangen. "Die Region steht am Abgrund", hatte dieser gewarnt. Mehrere westliche Staaten haben Israel zum einen die Solidarität im Kampf gegen die Hamas versichert, zum anderen die Wahrung der Verhältnismäßigkeit bei Gegenschlägen angemahnt. "Deutschland steht unverbrüchlich an der Seite Israels", hatte Scholz vor dem Abflug betont. Er trifft in Tel Aviv mehrere Regierungsmitglieder und auch den israelischen Präsidenten Herzog. Für den Abend stand ein Treffen mit Angehörigen deutscher Geiseln der Hamas auf dem Programm.

Israel hat den Gazastreifen abgeriegelt und die Bevölkerung im Norden aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Dies wurde vor allem in der arabischen Welt scharf kritisiert. Die humanitäre Lage ist ohnehin angespannt, auch weil Israel das Gebiet kontinuierlich unter Beschuss nimmt. Befürchtet wird, dass eine Bodenoffensive die Lage erheblich verschlimmern würde. Mehrere Staaten, darunter Deutschland und die Niederlande, aber auch die EU haben humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen angekündigt. Scholz warnte, dass man die Bevölkerung im Gazastreifen nicht mit der Hamas verwechseln dürfe. Jordaniens König Abdullah warnte vor zivilen Opfern "auf beiden Seiten".

Zudem forderte Abdullah, Palästinenser aus dem Gazastreifen dürften nicht in andere Länder wie Jordanien oder Ägypten vertrieben werden. Dies sei eine "rote Linie". Das Problem müsse im Gazastreifen selbst gelöst werden. Ein Drittel der Bevölkerung Jordaniens sei bereits palästinensischer Herkunft.

IRAN WIRFT ISRAEL "VÖLKERMORD" VOR

Netanjahu habe ihm zugesichert, er werde einen Plan entwickeln, um humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen zu organisieren, sagte US-Außenminister Antony Blinken, der ebenfalls in der Region unterwegs ist. Möglich wäre dies am Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten, der allerdings nach wie vor geschlossen ist. Auf ägyptischer Seite stehen mittlerweile tonnenweise Hilfsgüter bereit, die Israel aber nicht in den Gazastreifen liefern lässt, weil davon auch die Hamas profitieren könnte. Andererseits haben sich auf Gaza-Seite zahlreiche Doppelstaatler versammelt, um das Gebiet Richtung Ägypten verlassen zu können. Die Regierung in Kairo fürchtet, dass damit auch zahlreiche Palästinenser nach Ägypten flüchten könnten und lässt Einreisen derzeit nicht zu.

Israels Blockade des Gazastreifens und seine Anordnung, den Norden zu evakuieren, könnte den Vereinten Nationen zufolge gegen das Völkerrecht verstoßen. Das komme einer gewaltsamen Umsiedelung der Zivilbevölkerung gleich, teilte das UN-Menschenrechtsbüro mit.

Irans geistliches und staatliches Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei warf Israel vor, im Gazastreifen einen "Völkermord" zu begehen, der "sofort" beendet werden müsse. "Wir müssen antworten, wir müssen reagieren auf das, was in Gaza geschieht", sagte Chamenei im staatlichen Fernsehen. Iran gilt als Erzfeind Israels und unterstützt die Hamas. Im Libanon unterhält das Mullah-Regime die Extremistenorganisation Hisbollah, die regelmäßig den Norden Israels beschießt.

(Mitarbeit: Parisa Hafezi; Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Kerstin Dörr; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)