Reuters

Verbände sehen massive Haushalts-Auswirkungen durch Gerichtsurteil

15.11.2023
um 13:12 Uhr

- von Holger Hansen

Berlin (Reuters) - Verbände von der Wohnungswirtschaft über das Wohlfahrtswesen bis hin zum Umweltschutz befürchten gravierende Folgen durch das Verfassungsgerichtsurteil zum Bundeshaushalt.

Sie forderten am Mittwoch, schnellstens die Finanzierung von Energieeffizienz und Klimaschutz im Wohnungsbau wie auch anderer Klimaprojekte sicherzustellen. Während die Wohnungswirtschaft aber weiter auf der Einhaltung der Schuldenbremse bestand, forderten DGB, der Paritätische Gesamtverband und der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) die erneute Aussetzung der Schuldenbremse.

Das Bundesverfassungsgericht hatte der Ampel-Regierung am Mittwoch 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen gestrichen, die SPD, Grüne und FDP zu Beginn ihrer Regierungszeit zur Finanzierung von Klima- und Energieprojekten umgewidmet hatten. Dieses im Bundeshaushalt und im mehrjährigen Finanzplan bereits fest verplante Geld fehlt nun. Ein höhere Neuverschuldung ist durch die Schuldenbremse im Grundgesetz gedeckelt.

Das Geld fehlt nun im Klima- und Transformationsfonds (KTF), aus dem wichtige Vorhaben finanziert werden: Etwa die Milliarden-Förderung für den lange umstrittenen klimafreundlichen Heizungstausch, aber auch Investitionen ins Schienennetz und zweistellige Milliarden-Subventionen zur Ansiedelung von Chip-Fabriken. Von Haushältern der Ampel war zunächst keine Einschätzung zu erhalten, wie groß die Lücke 2024 sein könnte. Der KTF finanziert sich zwar auch aus eigenen Mitteln wie der CO2-Steuer - diese reichen derzeit aber bei weitem nicht aus, alle Projekte zu finanzieren. Auf der Grundlage des Wirtschaftsplans für den KTF könnten 2024 etwa 20 Milliarden Euro fehlen. Mittlerweile sind aber neue Ausgaben etwa für das Strompaket zugunsten der Wirtschaft hinzugekommen.

SPD: HAUSHALT NIMMT WEITER SEINEN GANG

Der Urteilsspruch trifft die Ampel-Koalition nur einen Tag vor der sogenannten Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Bundestages, in der ab Donnerstag letzte Hand an den Etatentwurf für 2024 gelegt wird. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, ging davon aus, dass die Beratungen wie geplant weiterlaufen: "Wir sind auf die Szenarien vorbereitet. Zum jetzigen Zeitpunkt gehe ich davon aus, dass wir den Haushalt dennoch zum 1. Dezember verabschieden."

Für den ebenfalls aus Krediten finanzierten 100-Milliarden-Euro-Topf der Bundeswehr hat das Urteil nach Einschätzung aus der Koalition keine Folgen. "Auf das Sondervermögen der Bundeswehr hat das keine Auswirkungen", sagte ein Haushaltspolitiker zu Reuters. "Das ist verfassungsrechtlich eine andere Regelung." Dies sei vor Gericht auch nicht angegriffen worden. Für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr hatte die Koalition nach Beginn des Ukraine-Krieges 2022 über Kreditermächtigungen einen 100-Milliarden-Euro-Topf geschaffen, aus dem über mehrere Jahre Rüstungsvorhaben finanziert werden sollen. Für das Bundeswehr-Vermögen wurde aber mit einer Grundgesetzänderung sichergestellt, dass es nicht unter die Schuldenbremse fällt. Dem hatte auch die Union zugestimmt.

Die Wohnungswirtschaft sieht nun die Förderung von Energieeffizienz im Wohnungsbau gefährdet. "Wie bezahlbarer und klimaschonender Wohnungsbau in Deutschland unter den ohnehin schon historisch schlechten Bedingungen jetzt überhaupt noch ermöglicht werden soll, steht seit heute in den Sternen", sagte der Präsident GdW-Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft, Axel Gedaschko. Er forderte eine Finanzierung auf anderem Weg, aber "unter der gebotenen Einhaltung der Schuldenbremse".

Anders sehen dies der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Umweltschutzverband BUND. "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedeutet, dass viele Milliarden für unabdingbare Klimaprojekte und deren sozial gerechte Ausgestaltung fehlen werden", erklärten die Spitzenverbände gemeinsam. "Die Bundesregierung muss in dieser Situation eine Aussetzung der Schuldenbremse einleiten, um Zukunftsprojekte beispielsweise im Gebäudebereich und bei der Finanzierung der Erneuerbaren nicht zu gefährden." Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte: "Die Bundesregierung muss die Schuldenbremse wieder aussetzen, denn die Folgen der Energiekrise sind längst nicht ausgestanden."

Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP allerdings verpflichtet, die Schuldenbremse im Grundgesetz einzuhalten. Eine Aussetzung kann der Bundestag mit Kanzlermehrheit nur in einer "außergewöhnlichen Notsituation" beschließen. Dies war in den Jahren 2020, 2021 und 2022 wegen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges geschehen. In diesem Jahr wie auch 2024 soll die Schuldenbremse wieder gelten. Den Neuverschuldungspielraum von etwa 20 Milliarden Euro, den sie für 2024 lässt, hat die Ampel aber bereits verplant.

(Bericht von Holger Hansen, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)