Reuters

Israels Präsident - Brauchen vorerst starke Präsenz im Gazastreifen

16.11.2023
um 10:32 Uhr

- von Nidal al-Mughrabi und Emily Rose

Gaza/Jerusalem (Reuters) - Israel muss nach Einschätzung von Präsident Isaac Herzog auch nach einem Ende des Kriegs gegen die Hamas vorerst im Gazastreifen eine starke Präsenz zeigen, um ein Wiedererstarken der radikal-islamischen Palästinenser-Gruppe zu verhindern.

"Wenn wir uns zurückziehen, wer wird dann übernehmen? Wir können kein Vakuum hinterlassen. Wir müssen darüber nachdenken, wie der Mechanismus aussehen wird", sagte Herzog in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview der "Financial Times". Derzeit kursierten viele Ideen dazu. "Aber niemand wird diesen Ort, Gaza, wieder in eine Terrorbasis verwandeln wollen." US-Präsident Joe Biden bekräftigte, dass er eine dauerhafte Besatzung Israels im Gazastreifen für den falschen Weg halte. Das wäre "ein großer Fehler", sagte Biden. Die Zwei-Staaten-Lösung sei der einzige gangbare Weg. Die israelische Armee setzte ihre Angriffe im Gazastreifen fort.

Die israelische Regierung diskutiere derzeit mehrere Ideen, wie eine Nachkriegs-Ordnung aussehen könnte, sagte Herzog. Es sei aber davon auszugehen, dass die USA und Israels "Nachbarn in der Region" in irgendeiner Form involviert sein würden. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die von der Fatah-Bewegung von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas gestellt wird, regiert in Teilen des Westjordanlands, die Hamas seit 2007 im Gazastreifen. Die Hamas hatte nach ihrem Wahlsieg im Gazastreifen 2006 und darauffolgenden Kämpfen mit der rivalisierenden Fatah die Macht im Gazastreifen an sich gerissen. Wahlen als demokratische Legitimierung gab es seither weder im Gazastreifen noch im Westjordanland.

Ziel des andauernden israelischen Vergeltungsfeldzugs für das Hamas-Massaker an Zivilisten vom 07. Oktober ist die Vernichtung der militant-islamischen Palästinenser-Organisation. Wie es nach Ende des Krieges in dem Küstenstreifen mit seinen rund 2,3 Millionen Einwohnern weitergeht, ist aber völlig offen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat bereits durchblicken lassen, dass er eine Präsenz von Truppen in dem Gebiet für einige Zeit als alternativlos sieht. Wie die USA hat auch die Bundesregierung mehrfach betont, dass eine Zwei-Staaten-Lösung die einzige Perspektive für einen dauerhaften Frieden biete.

"UNGLAUBLICH VORSICHTIG"

Dessen ungeachtet geht das israelische Militär weiter gegen mutmaßliche Stellungen der Hamas vor allem in Gaza-Stadt vor. Soldaten stürmten "zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden" den Al-Schifa-Krankenhauskomplex, wie die amtliche palästinensische Nachrichtenagentur Wafa meldete. Bulldozer und Militärfahrzeuge seien im Einsatz, zitierte die Agentur mit der Angelegenheit vertraute Personen. Die Hamas-nahe Nachrichtenagentur Schehab meldete, israelische Panzer griffen von der Südseite des Komplexes aus an, Schüsse seien in der Gegend zu hören.

In dem Tunnelsystem unter dem Krankenhaus vermutet Israel eine Kommandozentrale der Hamas, weshalb die Klinik für die Streitkräfte nicht mehr als rein zivile Einrichtung gilt. Am Mittwochabend teilte das Militär mit, Soldaten hätten in dem Hospital Waffen, Kampfausrüstung und technische Geräte der Hamas sichergestellt. Die Durchsuchung des Komplexes werde fortgesetzt, sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Das Militär veröffentlichte auch ein Video, das einen Teil des Materials zeigen soll, darunter automatische Waffen, Granaten, Munition und Splitterschutzwesten.

Biden warf der Hamas Kriegsverbrechen vor, weil die Organisation unter dem Krankenhaus ein Hauptquartier errichtet habe. Israel gehe bei dem Einsatz angesichts der dort verbliebenen Patienten und anderen Zivilisten aber möglichst behutsam vor. "Wir haben über die Notwendigkeit gesprochen, dass sie unglaublich vorsichtig sein müssen", sagte Biden am Mittwoch vor Journalisten. Die Hamas wies die Darstellungen zurück. Die israelischen Truppen hätten die Waffen und andere angebliche Beweise in dem Krankenhaus konstruiert, sagte der Hamas-Vertreter Essat El Raschk in Katar. Die Vorwürfe müssten unabhängig untersucht werden.

EINRICHTUNG VON FLUCHTKORRIDOREN GEFORDERT

Der UN-Sicherheitsrat einigte sich am Mittwoch erstmals auf eine Resolution zum Gaza-Krieg. Der Weltsicherheitsrat forderte darin eine tagelange Feuerpause sowie die Einrichtung von Fluchtkorridoren im Gazastreifen. Damit soll der Zugang für humanitäre Hilfe ermöglicht werden. Zudem wurde die sofortige und bedingungslose Freilassung aller von der Hamas festgehaltenen Geiseln gefordert. Die USA, Russland und Großbritannien, die im Rat ein Veto einlegen können, enthielten sich bei der Abstimmung über die von Malta verfasste Resolution. Die übrigen zwölf Mitglieder stimmten für die Resolution.

Bei den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen sind nach palästinensischen Angaben bislang mehr als 11.000 Menschen getötet worden, darunter etwa 40 Prozent Kinder. Etwa zwei Drittel der 2,3 Millionen Einwohner des Küstenstreifens sind obdachlos und können das Gebiet nicht verlassen, in dem Lebensmittel, Treibstoff, Trinkwasser und medizinische Versorgung knapp werden. Bei dem Angriff von Hamas-Kämpfern waren israelischen Angaben zufolge im Oktober bis zu 1200 Menschen getötet worden, die meisten davon Zivilisten, und etwa 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden. Deren Schicksal ist nach wie vor unklar.

(Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)