- von Nidal al-Mughrabi und Ari Rabinovitch
Gaza/Jerusalem (Reuters) - Angesichts zunehmender Kritik an Israels Militäreinsatz im Gazastreifen hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einmal mehr bekräftigt, dass sein Land alles zur Vermeidung von Opfern unter der Zivilbevölkerung tue.
"Aber leider sind wir nicht erfolgreich", räumte er in einem Interview des US-Fernsehsenders CBS News ein. Die Schuld daran gab er der radikal-islamischen Hamas. Jeder Tod eines Zivilisten sei eine Tragödie. "Und es sollte keine geben, denn wir tun alles, was wir können, um die Zivilisten aus der Gefahrenzone zu bringen, während die Hamas alles tut, um sie dort zu halten." Israel versuche, seinen Einsatz gegen die Palästinenser-Organisation mit so wenigen zivilen Opfern wie möglich zu beenden. "Darum werfen wir Flugblätter ab und rufen die Menschen auf ihren Handys an. "Wir sagen: 'Geht.' Und viele sind gegangen."
Hamas-Kämpfer hatten am 7. Oktober nach israelischen Angaben bei einem Überfall bis zu 1200 Menschen getötet, die meisten davon Zivilisten, und etwa 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Seitdem greift das israelische Militär das dicht besiedelte Küstengebiet aus der Luft, zu Boden und vom Meer aus an mit dem erklärten Ziel, die Hamas zu zerstören. Nach palästinensischen Angaben wurden dabei bislang mindestens 11.500 Menschen getötet, darunter mehr als 4700 Kinder. Die Vereinten Nationen halten die Zahlen für verlässlich.
Der Militäreinsatz konzentriert sich bislang vornehmlich auf den Norden des Gazastreifens rund um Gaza-Stadt, weil dort die wichtigsten Kommandozentralen der Hamas liegen sollen. Israel hat die Bevölkerung darum aufgerufen, sich in den Süden des schmalen Küstengebiets in Sicherheit zu begeben. Mittlerweile sind die israelischen Streitkräfte nach eigenen Angaben kurz davor, das militärische System der Hamas im nördlichen Gazastreifen zerstört zu haben. Gleichzeitig gibt es aber Signale, dass das Militär seinen Einsatz auch im Süden ausweiten könnte: Die Bewohner von vier Städten im südlichen Gazastreifen wurden aufgefordert, die Orte zu verlassen.
"OHNE TREIBSTOFF WERDEN MENSCHEN STERBEN"
Die humanitäre Lage könnte sich dadurch noch weiter verschärfen. Schon jetzt sind etwa zwei Drittel der 2,3 Millionen Einwohner obdachlos. Verlassen können sie den Gazastreifen nicht. Lebensmittel, Trinkwasser und medizinische Versorgung werden knapp. Das Handy- und Festnetz ist nach Angaben der beiden Telekommunikationsdienstleister im Gazastreifen zusammengebrochen, ebenso wie das Internet. Treibstoff geht aus, weil Israel keine Importe erlaubt, um zu verhindern, dass die Lieferungen an die Hamas gelangen könnten.
Hilfslieferungen, die per Lkw über den Grenzübergang Rafah von Ägypten aus in das Gebiet gebracht werden sollen, ließen sich so nicht mehr koordinieren, warnte ein Sprecher des Palästinenser-Hilfswerks der Vereinten Nationen. "Wenn kein Treibstoff mehr reinkommt, werden Menschen sterben wegen des Mangels an Treibstoff."
Besonders dramatisch ist die Lage in den Krankenhäusern. Im Fokus steht vor allem die größte Klinik im Gazastreifen, das Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt. Nach palästinensischen Angaben wurde es bereits zweimal von israelischen Soldaten gestürmt. Das Militär ist überzeugt, dass die Hamas unter der Klinik eine Kommandozentrale betreibt. Die Hamas weist dies zurück. Zur Untermauerung seiner Vorwürfe veröffentlichte das israelische Militär ein Video, auf dem der Eingang zu einem Tunnelschacht von Hamas-Kämpfern auf dem Gelände des Al-Schifa-Krankenhauses zu sehen sein soll. Auch ein mit Waffen beladenes Fahrzeug sei gefunden worden. Die Aufnahmen ließen sich nicht verifizieren.
Israel wirft der Hamas auch vor, in dem Krankenhauskomplex einige der Geiseln festgehalten zu haben, die die Islamisten am 7. Oktober verschleppt hatten. Am Donnerstag wurde nach Armeeangaben die Leiche einer weiblichen Geisel in einem Gebäude in der Nähe von Al-Schifa gefunden. Am Freitag teilte das Militär mit, ebenfalls in einem Gebäude in der Nähe des Krankenhauses die Leiche einer seiner Soldatinnen geborgen zu haben, die von der Hamas gefangen genommen worden sei.
Die Angaben ließen sich unabhängig nicht überprüfen.
(geschrieben von Christian Rüttger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)