- von Holger Hansen und Christian Krämer
Berlin (Reuters) - Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen den Klimafonds will die Ampel-Koalition im Haushalt 2024 die Schuldenbremse mit einer Neuverschuldung von voraussichtlich etwa 22 Milliarden Euro einhalten.
In einer gut 15 Stunden langen Sitzung des Haushaltsausschusses zurrten SPD, Grüne und FDP in der Nacht zum Freitag Milliarden-Mehrausgaben etwa für das Bürgergeld und die Aktienrente fest. Die Schlussberatungen musste die Ampel aber auf kommende Woche verschieben, um vorher noch Sachverständige zu den Auswirkungen des Urteils zu hören, mit dem der Regierung 60 Milliarden Euro gestrichen wurden. Die Opposition warf der Koalition vor, sie steuere erneut auf einen verfassungswidrigen Haushalt zu. CDU-Chef Friedrich Merz erwägt eine Klage auch gegen den 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm, mit dem die Regierung den Energiepreisanstieg gedämpft hat.
Die ermäßigte Umsatzsteuer auf Essen in der Gastronomie wird zum Jahresanfang 2024 von sieben wieder auf 19 Prozent steigen. Für eine Verlängerung über das Jahresende 2023 hinaus habe sich die Koalition nicht auf eine Gegenfinanzierung verständigen können, räumte FDP-Haushälter Otto Fricke in der gemeinsamen Pressekonferenz mit seinen Kollegen von SPD und Grünen, Dennis Rohde und Sven-Christian Kindler, ein. Nach einem Hin und Her in der Koalition soll die ermäßigte Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme dagegen nun doch bis Ende Februar 2024 gelten und damit zwei Monate länger als zuletzt vereinbart.
UNION: HAUSHALTSPOLITIK AUF DER TITANIC
Die Union warf der Ampel-Koalition vor, sie habe sich bei den Mehrausgaben "einen ordentlichen Schluck aus der Pulle genommen". CDU-Haushaltsexperte Christian Haase bezifferte die beschlossenen Mehrausgaben auf 32,5 Milliarden Euro, was von Ampel-Politikern als nicht nachvollziehbar kommentiert wurde. "Die haben wie auf der Titanic zum Schluss noch mal ordentlich was mitgenommen", sagte Haase. "Jetzt spielt die Kapelle und wir warten darauf, dass am nächsten Donnerstag das letzte Stück gespielt wird." Die Union hatte eine Verschiebung gefordert. "Der nächste Haushalt ist, wenn sich nichts ändert, unserer Meinung nach verfassungswidrig", warnte Haase, der für die Option einer vorläufigen Haushaltsführung plädierte.
Die Opposition sieht die Ampel zudem in weitaus größeren Schwierigkeiten als derzeit von der Koalition eingeräumt. Union wie auch AfD machten deutlich, dass aus ihrer Sicht auch der 200-Milliarden-Euro-Fonds zur Dämpfung der Energiepreise auf tönernen Füßen steht. CDU-Chef Merz erwartet spätestens Anfang übernächster Woche ein erstes Ergebnis eines Rechtsgutachtens. "Auf dieser Grundlage werde ich dann die Entscheidung treffen, ob wir auch gegen den WSF nach Karlsruhe gehen", kündigte er an.
Das Verfassungsgericht hatte am Mittwoch die Übertragung von 60 Milliarden Euro an nicht benötigten Krediten zur Bewältigung der Corona-Krise auf den Klimafonds für verfassungswidrig erklärt und die Mittel damit gestrichen. Im kommenden Jahr reißt das im Klima- und Transformationsfonds (KTF) laut SPD-Politiker Rohde eine Lücke von etwa 18,5 Milliarden Euro, die mit späteren Änderungen am Wirtschaftsplan des KTF geschlossen werden soll. Die Ampel prüft auch die Folgen für Nebenhaushalte wie den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Es sei die Frage zu klären, was aus dem WSF noch finanziert werden könne, sagte Fricke. Das Geld für nötige Mittel werde aber bereitgestellt - wie genau, ließ er offen.
Die Einzelpläne 32 und 60 für Zinsen und Allgemeine Finanzverwaltung werden nun erst in der Sondersitzung am Donnerstag nächster Woche beraten. Erst dann stehen die Eckdaten des Haushalts und die Neuverschuldung fest. Dadurch wurden wichtige Beschlüsse aufgeschoben wie die geplante Verdoppelung der Militärhilfe für die Ukraine auf acht Milliarden Euro.
Die Schuldenbremse soll rechnerisch das zweite Jahr in Folge eingehalten werden. Finanzminister Christian Lindner (FDP) war in seinem Entwurf von einer Neuverschuldung von 16,6 Milliarden Euro ausgegangen. Durch verschlechterte Konjunkturaussichten hat sich der Verschuldungsspielraum nach früheren Angaben Lindners mittlerweile um 5,5 Milliarden Euro erhöht.
Für die einzelnen Ministerien wurden zum Teil Mehrausgaben in Milliardenhöhe beschlossen. Im Arbeitsministerium wurden die geplanten Ausgaben für Bürgergeld, Kosten der Unterkunft und die Grundsicherung im Alter um insgesamt 6,2 Milliarden Euro erhöht. Der Kapitalstock zum Aufbau einer Aktienrente soll laut Fricke um zwölf Milliarden Euro auf 22 Milliarden Euro angehoben werden. Diese Zahlungen bewertet die Ampel-Koalition als finanzielle Transaktion, die nicht unter die Schuldenbremse fällt.
Beim Bundeshaushalt 2024 will die Regierung mit 2,1 Prozent der Verteidigungsausgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung erstmals auch die Nato-Quote einhalten. Im regulären Verteidigungsetat sind Ausgaben von etwa 51,8 Milliarden Euro vorgesehen. Hinzu kommen etwa 19,2 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen. Zur Nato-Quote tragen auch andere Ministerien über 14 Milliarden Euro bei. Die Union hatte gefordert, die Koalition solle sich "ehrlich machen und das Zwei-Prozent-Ziel mit realen, verteidigungsbezogenen Ausgaben erfüllen".
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