- von Andreas Rinke und Christian Krämer
Berlin (Reuters) - Im Streit über den Haushalt hat Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Regierungserklärung erste Prioritäten für den Etat 2024 genannt, aber klare Festlegungen vermieden.
Bei der Unterstützung der Ukraine und der Bewältigung der Energiekrise dürfe man "auf keinen Fall nachlassen", sagte der SPD-Politiker am Dienstag im Bundestag in einer rund 25-minütigen Rede anlässlich des Verfassungsgerichtsurteils zur Schuldenbremse. Nach Informationen von Reuters aus Regierungskreisen ist die Aufstockung der Ukraine-Militärhilfe auf acht Milliarden Euro gesichert. Der Kanzler verkündete zudem das Ende der Energiepreisbremsen Anfang 2024 und verwies darauf, dass auch die Länder "allerhöchstes Interesse" an Investitionen etwa in Chip-Fabriken hätten. Der Bevölkerung versprach er, dass sie von dem Karlsruher Urteil im Alltag nicht betroffen sei. "Der Staat wird seinen Aufgaben auch weiterhin gerecht." Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) warf ihm und der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP dagegen Unfähigkeit vor.
Die Erklärung des Kanzlers war mit Blick auf die ausstehenden Entscheidungen zur Aufstellung des Haushalts 2024 und der mittelfristigen Finanzplanung bis 2028 mit Spannung erwartet worden. Unternehmen, Länder und Kommunen pochen auf schnelle Klarheit, ob sie trotz der Probleme mit dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) und dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) mit vom Bund zugesagten Zuschüssen rechnen können. Scholz wies darauf hin, dass bisher in der Ampel nur Entscheidungen für den Nachtragshaushalt 2023 getroffen wurden. In den Beratungen für 2024 gehe "Sorgfalt vor Schnelligkeit". Denn das Urteil aus Karlsruhe verändere die Haushaltspolitik in Bund und Ländern grundlegend. Am Mittwochabend soll bei einem Koalitionsausschuss Insidern zufolge auch über die schwierige Haushaltslage beraten werden. Mit Entscheidungen sei nicht zu rechnen.
Scholz kündigte an, dass die Energiepreisbremsen zu Beginn des kommenden Jahres enden sollen. "Inzwischen sind überall in Deutschland wieder Strom- und Gastarife verfügbar, die zwar deutlich höher liegen als vor der Krise - aber meist unterhalb der Obergrenzen, die wir für die Preisbremsen gezogen haben." Zudem seien die Gasspeicher so gut gefüllt, dass nicht mit plötzlichen Preissprüngen gerechnet werden müsse. "Sollten die Preise für Energie dennoch erneut unerwartet dramatisch steigen, sind wir jederzeit in der Lage, kurzfristig zu handeln." Die Verbraucherverbände kritisierten die Festlegung.
AMPEL UNEINS ÜBER AUSSETZUNG VON SCHULDENGRENZE 2024
In der Debatte nach der Regierungserklärung wurde deutlich, dass sich SPD, Grüne und FDP weiter nicht einig sind, wie sie den Haushalt 2024 mit den Restriktionen für KTF und WSF aufstellen sollen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und seine Grünen-Kollegin Katharina Dröge sprachen sich dafür aus, mit Blick auf den Ukraine-Krieg erneut eine Notlage zu erklären und damit der Regierung mehr finanziellen Spielraum zu geben. Dies hatte FDP-Fraktionschef Christian Dürr schon vorher abgelehnt. Dröge verwies darauf, dass sich Deutschland und Europa auch damit beschäftigen müssten, dass die USA gerade 738 Milliarden Dollar für den Umbau ihrer Wirtschaft ausgeben würden. "Wer hier nicht mitspielt, verliert", warnte sie.
Kanzler Scholz unterstrich, dass die laufenden Beratungen zwischen SPD, Grünen und FDP erlaubten, "vorhandene Spielräume im Haushalt auszuloten, Schwerpunkte zu setzen und natürlich auch Ausgaben zu beschränken". Im übrigen weise das Gericht der Regierung einen "Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum" bei der Erklärung einer Notlage zu.
MERZ ZU SCHOLZ - "SIE KÖNNEN ES NICHT"
Sowohl CDU-Chef Merz als auch AfD-Chefin Alice Weidel übten harsche Kritik an der Regierung. "Sie können es nicht", sagte Merz in Richtung Kanzler, der nur ein "Klempner der Macht" ohne Zukunftsideen sei. Scholz sagte später, er sehe dies als Lob, weil es im Handwerk wie bei Regieren auf Erfahrung ankäme. Dies ist eine Anspielung auf Merz, der noch kein Regierungsamt bekleidet hat. Der CDU-Politiker erteilte auch Forderungen von SPD- und Grünen-Spitzenpolitikern sowie einigen CDU-Ministerpräsidenten eine Absage, eine Reform der Schuldenbremse mitzutragen, um Investitionen sicherzustellen.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte der "Rheinischen Post", dass der Bundeskanzler die Verunsicherung in Deutschland noch vergrößert habe, weil er völlig offengelassen habe, wie er mit der Regierungskrise umgehen wolle. "Der Kanzler müsste längst Führung zeigen und den Menschen reinen Wein einschenken." Dagegen lobte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, die Rede. "Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers zum Bundeshaushalt signalisiert Ruhe und Kontinuität", sagte er.
Laut einer neuen Umfrage geht lediglich ein Drittel der Deutschen davon aus, dass eine unionsgeführte Bundesregierung die Haushaltskrise besser lösen könnte als die Ampel-Regierung. Das geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Forsa-Umfrage für die RTL-Gruppe hervor. Auf eine entsprechende Frage antworteten 59 Prozent mit Nein, 35 Prozent mit Ja.
(Mitarbeit: Alexander Ratz, Reinhard Becker, redigiert von Kerstin Dörr; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)