Berlin (Reuters) - Der Bundestag hat am Freitag erstmals über den Nachtragshaushalt für 2023 beraten, mit dem erneut die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ausgesetzt werden soll.
Nach der kontroversen Debatte wurde der Gesetzentwurf an den Haushaltsausschuss überwiesen. Entscheidungen im Bundestag und Bundesrat werden Mitte Dezember erwartet. Der Nachtragshaushalt ist eine Folge des Urteils des Verfassungsgerichts von Mitte November. Ausgaben aus dem Energie-Krisenfonds WSF sollen dadurch auf eine neue Grundlage gestellt werden, um nicht angreifbar durch das Gericht zu sein. Offen ist weiter, wie die Ampel den Haushaltsentwurf für 2024 finalisieren will.
"Jetzt schaffen wir Rechtssicherheit", sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Bundestag. Im Nachhinein sei der bis zu 200 Milliarden Euro schwere WSF falsch angelegt gewesen. Aus dem Sondertopf kommen vor allem die Energiepreishilfen der Regierung. Mit dem Nachtragshaushalt werden insgesamt rund 45 Milliarden Euro in den normalen Haushalt übertragen, überwiegend aus dem WSF. Die Union kritisierte, dass Lindner erneut die Schuldenbremse aussetzen wolle, obwohl er das ganze Jahr das Gegenteil behauptet habe. Die AfD nannte den Haushalt weiter verfassungswidrig.
Durch den Karlsruher Richterspruch werden im Klimafonds KTF 60 Milliarden Euro aus der Rücklage gestrichen, weil ein Teil der Mittel des Fonds auf verfassungswidrige Weise in den Sondertopf übertragen wurde. Der KTF-Wirtschaftsplan wird derzeit überarbeitet. Auch andere sogenannte Sondervermögen müssen neu aufgestellt werden, mit dem Nachtragshaushalt neben dem WSF auch der Hilfsfonds zum Wiederaufbau nach der verheerenden Flut im Sommer 2021.
Der Industrieverband BDI warnte angesichts der schwelenden Haushaltskrise vor einem weiteren Rezessionsjahr. Ein mögliches Streichen von geplanten Ausgaben im Umfang der für nichtig erklärten Finanzmittel könnte das Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr um bis zu einem halben Prozent sinken lassen. Schon im zu Ende gehenden Jahr dürfte Europas größte Volkswirtschaft um 0,4 Prozent schrumpfen. Die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP stehe in der Verantwortung, Verunsicherung abzubauen und rasch für eine Perspektive zur Erholung der deutschen Wirtschaft zu sorgen.
SCHULDENBREMSE 2024 FÜNFTES JAHR IN FOLGE AUSSETZEN?
Zu den stockenden Verhandlungen über den Haushaltsentwurf für 2024 nannte Lindner kaum Details. Er bezifferte die Finanzierungslücke erneut auf 17 Milliarden Euro. Andere hochrangige Vertreter der Koalition gehen von wesentlich mehr aus, teilweise annähernd 100 Milliarden Euro. Wie das Loch geschlossen werden soll, ist in der Ampel umstritten. Lindner sprach von intensiven Gesprächen. "Das alles wird nicht immer bequem sein." Die Regierung werde aber neue Wege finden, ihre Vorhaben zu finanzieren.
Insider aus der Koalition hoffen auf einen Durchbruch in der nächsten Woche, damit der Haushaltsentwurf mit Sondersitzungen noch in diesem Jahr beschlossen werden kann. Die FDP favorisiert harte Einsparungen und Umschichtungen, SPD und Grünen wollen auch 2024 die Schuldenbremse wegen einer Notlage wieder aussetzen.
Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer plädierte im ZDF für eine Reform der Schuldenbremse zugunsten von mehr staatlichen Investitionen. Die junge Generation werde mit den Schulden nicht belastet, sofern das Geld zur Sicherung ihrer Zukunft eingesetzt werde - etwa durch Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien oder in die Infrastruktur. Deutschland habe derzeit keine hohe Schuldenlast zu tragen. Allerdings müsse dafür gesorgt werden, dass neue Schulden auch tatsächlich in Investitionen fließen.
Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang kann sich ein neues Sondervermögen für Klimaschutz vorstellen. "Eine Reform der Schuldenbremse wäre möglich, aber zum Beispiel auch, wie es jetzt die Umweltverbände fordern, ein Sondervermögen für Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit", sagte sie zu RTL/ntv.
(Bericht von Christian Krämer und Rene Wagner, redigiert von Elke Ahlswede. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)