Berlin (Reuters) - Verfassungsexperten und Ökonomen halten den Nachtragshaushalt der Ampel-Regierung für 2023 überwiegend für unbedenklich.
Das geht aus Stellungnahmen für den Bundestag hervor, die am Montag veröffentlicht wurden. Am Dienstag sollen die Experten in einer öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses ihre Positionen vortragen.
Berthold Wigger vom Karlsruher Institut für Technologie hält die Pläne der Regierung, mit dem Nachtragshaushalt erneut die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wegen einer Notlage auszusetzen, für angemessen. "Angesichts der Tatsache, dass sich das Haushaltsjahr 2023 dem Ende zuneigt, dürfte es auch keine andere Möglichkeit geben, einen verfassungsgemäßen Haushalt zu gewährleisten." Hanno Kube von der Universität Heidelberg lobte, dass die Regierung schnell auf das weitreichende Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November reagiere. Im Ganzen seien die geplanten Anpassungen nachvollziehbar. Es bleibe aber ein verfassungsrechtliches Risiko bestehen. Laut Joachim Wieland von der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer entsprechen die Notlagen-Pläne den Anforderungen des Gerichts.
Vergangene Woche hatte das Kabinett grünes Licht für den Nachtragshaushalt gegeben und der Bundestag erstmals darüber beraten. Bis Mitte Dezember sollen die Pläne die Zustimmung im Parlament bekommen. Mit dem Nachtragshaushalt werden im Klimafonds KTF 60 Milliarden Euro aus der Rücklage gestrichen, weil ein Teil der Mittel des Fonds auf verfassungswidrige Weise in den Sondertopf übertragen wurde. Für andere Sondervermögen, insbesondere den Energie-Krisenfonds WSF, müssen Kredite in Höhe von insgesamt 44,8 Milliarden Euro aufgenommen werden. Die ohnehin geplanten Ausgaben werden damit auf eine neue Grundlage gestellt.
Begründet wird die angestrebte Ausnahme von der Schuldenbremse mit den Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Dieser hatte zwischenzeitlich zu extremen Preissteigerungen bei Strom und Gas geführt. Dies gilt vor allem für den Beginn des Jahres, mittlerweile hat sich die Lage beruhigt. Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer betonte in ihrer Stellungnahme aber, die Finanzlage des Staates sei durch die Folgen des Krieges weiterhin erheblich beeinträchtigt. "Ein abruptes Ende dieser Auswirkungen zum Jahresende 2023 zeichnet sich nicht ab." Die Wirtschaft sei nicht auf den Pfad zurückgekehrt, der vor dem Angriff prognostiziert worden sei.
Umstritten ist unter Experten, ob die späte Ausrufung der Notlage zum Jahresende ein Problem darstellt. Wieland betonte, dies sei unproblematisch, weil das Urteil des höchsten deutschen Gerichts erst wenige Wochen zurückliege und der Gesetzgeber nicht schneller reagieren habe können. Der Bundesrechnungshof hält dies dagegen für problematisch. Er kritisierte zudem, dass nicht alle Sondertöpfe der Regierung schon auf eine neue Grundlage gestellt werden.
Grundsätzliche Kritik kam von Fritz Söllner von der TU Ilmenau. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob die Gas- und Strompreisbremsen, die bisher aus dem WSF finanziert wurden und nun in den normalen Haushalt überführt werden sollen, überhaupt geeignet seien. Sie gingen nur die Symptome an, nicht aber die Ursachen. Eigentlich müsste das Energieangebot ausgeweitet werden. "Insgesamt wird man zu dem Schluss kommen müssen, dass die in der Energiekrise ergriffenen Maßnahmen weder erforderlich noch geeignet gewesen sind - womit auch die Rechtfertigung für die damit einhergehende Kreditaufnahme entfällt."
(Bericht von Christian Krämer, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)