Brüssel (Reuters) - Eine Grundsatzeinigung auf eine Reform der europäischen Schuldenregeln noch in diesem Jahr ist EU-Vertretern zunehmend unwahrscheinlich.
Die Differenzen seien zu groß, sagten mehrere EU-Insider der Nachrichtenagentur Reuters. Am Freitag treffen sich die EU-Finanzminister in Brüssel. Bis dahin sollten Deutschland und Frankreich eigentlich einen Kompromiss ausloten. Beide Länder hatten Anfang November betont, dass es Fortschritte in den Verhandlungen gegeben hatte. Seitdem wurde aber keine Einigung verkündet.
"Ich denke nicht, dass ein gemeinsamer Ansatz vor dem Jahresende gefunden wird", sagte einer der Insider. Es gebe noch zu viele Meinungsverschiedenheiten. "Ein Deal am Freitag ist sehr unwahrscheinlich", so ein zweiter EU-Vertreter. Ein dritter Insider sagte, man sei nicht weit weg von einer Einigung, es gebe aber noch unterschiedliche rote Linien. Diese könnten aber mit mehr Verhandlungen aus dem Weg geräumt werden.
Ziel ist es, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Position verständigen. Diese soll dann Anfang 2024 mit dem Europäischen Parlament verhandelt werden. Dafür könnte dann weniger Zeit bleiben. Die Zeit ist ohnehin knapp, weil das Parlament im Juni 2024 neu gewählt wird und sich schon davor auflöst.
Die EU-Kommission will künftig individuell ausgehandelte Abbaupfade für EU-Staaten mit zu hohen Haushaltsdefiziten und Schuldenständen - statt bislang pauschaler Vorgaben. EU-Länder sollen in der Regel in einem Zeitraum von vier Jahren ihre Werte verbessern müssen, teilweise innerhalb von sieben Jahren. Deutschland pocht aber auf konkrete und jährliche Abbauziele sowie insgesamt mehr Ambitionen beim Abbau von Schulden und Haushaltsdefiziten.
Die EU-Schuldenregeln sind seit 2020 zunächst wegen der Corona-Pandemie und später wegen der Folgen des Krieges in der Ukraine ausgesetzt worden, sollen aber ab 2024 wieder greifen. In der Zeit sind die Schuldenstände deutlich gestiegen. Eigentlich gilt in der Europäischen Union eine Obergrenze beim Haushaltsdefizit von drei Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung und 60 Prozent beim gesamten Schuldenstand. Gegen diese Vorgaben wurde in der Vergangenheit aber immer wieder verstoßen, ohne dass dies nennenswerte Konsequenzen gehabt hätte. Sollte keine Einigung über eine Reform gelingen, würden die alten Regeln ab Anfang nächsten Jahres wieder greifen. Sie gelten aber als überholt und nicht mehr realistisch.
(Bericht von Jan Strupczewski, geschrieben von Christian Krämer, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)