- von Maya Gebeily und Anthony Deutsch und David Clarke
Beirut/Den Haag (Reuters) - Der Reuters-Journalist Issam Abdallah ist nach Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters am 13. Oktober im Südlibanon durch ein israelisches Panzergeschoss ums Leben gekommen.
Demnach hat eine israelische Panzerbesatzung zweimal kurz hintereinander geschossen, im Abstand von 37 Sekunden, ergaben die am Donnerstag veröffentlichten Recherchen. Dafür hat Reuters mit mehr als 30 Regierungsvertretern, Sicherheitsbeamten, Militärexperten, forensischen Ermittlern, Anwälten, Medizinern und Zeugen gesprochen. Viele Stunden an Videomaterial von acht verschiedenen Medien sowie Hunderte Fotos wurden ausgewertet, darunter hochauflösende Satellitenbilder.
Bei dem Angriff kam der 37-jährige Videoreporter Abdallah ums Leben und sechs weitere Journalisten wurden teils schwer verletzt - zwei Reuters-Journalisten, eine Fotografin der französischen Nachrichtenagentur AFP und deren Videokollege sowie zwei Mitarbeiter des Fernsehsenders Al-Jazeera. Alle sieben Reporter trugen blaue Schutzwesten und Helme, auf den meisten stand in weißen Buchstaben "PRESS" geschrieben. Sie gerieten etwas mehr als einen Kilometer von der israelischen Grenze entfernt in der Nähe des libanesischen Dorfes Alma al-Shaab unter Beschuss. Dort waren in der Nähe auch Journalisten von mindestens sieben weiteren Medien tätig. Die Reporter wollten über die bewaffneten Auseinandersetzungen in dem Grenzgebiet berichten, zu denen es nach dem Überfall der radikal-islamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober gekommen war.
Die niederländische Organisation für angewandte wissenschaftliche Forschung (TNO), ein unabhängiges Forschungsinstitut, das Munition und Waffen für Kunden wie das niederländische Verteidigungsministerium testet und analysiert, untersuchte Munitionsfragmente in ihren Labors in Den Haag. Demnach wurden eine 120-Millimeter-Panzerpatrone eingesetzt, wie sie die israelische Armee benutzt.
"Die Beweise, die wir jetzt haben und die wir heute veröffentlicht haben, zeigen, dass eine israelische Panzerbesatzung unseren Kollegen Issam Abdallah getötet hat", sagte Reuters-Chefredakteurin Alessandra Galloni. "Wir verurteilen Issams Ermordung. Wir fordern Israel auf, zu erklären, wie dies geschehen konnte." Die Verantwortlichen sollten zur Rechenschaft gezogen werden. "Issam war ein brillanter und leidenschaftlicher Journalist, der bei Reuters sehr beliebt war", fügte Galloni hinzu.
AFP erklärte, die von Reuters zusammengestellten Beweise bestätigten eine eigene Untersuchung. Der Angriff auf eine Gruppe von Journalisten, die eindeutig als Medienvertreter identifiziert werden konnten, sei "unerklärlich" und "inakzeptabel", sagte AFP-Informationsdirektor Phil Chetwynd.
Reuters präsentierte den israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) die Erkenntnisse, wonach die Panzergeschosse von Israel aus abgefeuert wurden. "Wir nehmen keine Journalisten ins Visier", sagte IDF-Sprecher Oberstleutnant Richard Hecht. Weiter äußerte er sich nicht.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erklärte, es habe sich um einen "offensichtlich vorsätzlichen Angriff auf Zivilisten und damit ein Kriegsverbrechen" gehandelt. Da es wahrscheinlich ein direkter Angriff auf Zivilisten gewesen sei, müsse dieser als Kriegsverbrechen untersucht werden, forderte Amnesty International.
(geschrieben von Rene Wagner, redigiert von Christian Rüttger - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)