- von Bassam Masoud und Nidal al-Mughrabi
Gaza/Kairo (Reuters) - Trotz der zunehmend prekären humanitären Lage im Gazastreifen zeichnet sich kein Nachlassen der Kämpfe zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas ab.
Israelische Kampfjets und Panzer nahmen Bewohnern zufolge auch am Dienstag das dicht besiedelte Küstengebiet erneut unter Beschuss. Wegen der heftigen Gefechte konnten UN-Angaben zufolge so gut wie keine Hilfsgüter mehr verteilt werden, allen voran dringend benötigte Lebensmittel. Die halbe Bevölkerung leidet inzwischen nach Angaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen Hunger.
Vor allem aus dem Süden wurden schwere Kämpfe gemeldet. Dorthin waren in den vergangenen Wochen Abertausende Menschen nach Aufforderung Israels geflohen - in der Hoffnung, dort sicher zu sein vor den Bombardements. Im Norden wiederum stürmten israelische Soldaten nach palästinensischen Angaben ein Krankenhaus.
"ES GIBT NICHTS ZU ESSEN"
"Nachts können wir wegen der Bombenangriffe nicht schlafen und am Morgen ziehen wir durch die Straßen und suchen nach Essen für die Kinder. Es gibt kein Essen", schilderte der sechsfache Vater Abu Chalil in einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur Reuters die Lage in Rafah, dass im Süden des Gazastreifens an Ägypten grenzt. "Ich konnte kein Brot finden, und die Preise für Reis, Salz oder Bohnen haben sich schon mehrfach verdoppelt", sagte er. "Israel tötet uns zweimal, einmal mit Bomben und einmal durch Hunger."
Bewohnern zufolge war Rafah einigen der schwersten Angriffe seit Tagen ausgesetzt. Allein bei einem israelischen Luftangriff auf mehrere Häuser in der Nacht wurden nach palästinensischen Angaben insgesamt 22 Menschen getötet, darunter Kinder.
Das UN-Nothilfebüro Ocha teilte mit, lediglich in Rafah würden noch in begrenztem Maße Hilfsgüter verteilt. Aber im restlichen Gazastreifen habe man in den vergangenen paar Tagen damit weitgehend aufgehört wegen der Intensität der Feindseligkeiten und der Einschränkungen entlang der Hauptverbindungsstraßen. Außerdem gebe es im Gazastreifen zu wenige Lkws für den Transport von Hilfsgütern und nicht genug Treibstoff. Kommunikationsnetze fielen immer wieder aus. Aus Sicherheitsgründen könnten auch immer weniger Helfer von Ägypten aus nach Rafah.
BEWOHNER: PANZER IN DER WOHNSTRASSE VON HAMAS-CHEF
Auch aus Chan Junis wurden Kämpfe gemeldet. Israel hatte vergangene Woche mit der Erstürmung der größten Stadt im Süden des Gazastreifens begonnen. Der Beschuss konzentrierte sich Bewohnern zufolge am Dienstag auf das Stadtzentrum. Panzer seien in einer Straße, in der sich das Haus von Hamas-Chef Jahja al-Sinwar befinde. Ein Wohnkomplex in der Stadt sei ohne Vorwarnung getroffen worden, sagte Taufik Abu Breika, ein älterer Bewohner des Blocks, zu Reuters. Mehrere Gebäude seien eingestürzt. Es habe Opfer gegeben. "Das Gewissen der Welt ist tot." Seit über zwei Monaten seien die Menschen in Gaza mit Tod und Zerstörung konfrontiert. "Das ist ethnische Säuberung, völlige Zerstörung des Gazastreifens, um die gesamte Bevölkerung zu vertreiben."
Auch die ärztliche Versorgung wird immer schlechter. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sind nur noch etwa ein Drittel der Krankenhäuser im Gazastreifen teilweise funktionstüchtig. "Wir können es uns nicht leisten, noch mehr Gesundheitseinrichtungen oder Kliniken zu verlieren", sagte der WHO-Gesandte für die Palästinensischen Gebiete, Richard Peeperkorn, per Video auf einer UN-Pressekonferenz in Genf.
Die WHO teilte mit, sie sei von Behörden des Gazastreifens gebeten worden, bei der potenziellen Evakuierung der im Norden gelegenen Klinik Kamal Adwan zu helfen. Man prüfe das Gesuch. Ein Sprecher des Gaza-Gesundheitsministeriums sagte, israelische Truppen hätten das Krankenhaus gestürmt und Männer, darunter auch Mitarbeiter, im Hof der Anlage zusammengetrieben.
Unabhängig überprüfen ließen sich die Angaben nicht. Das israelische Militär gab zunächst keine Stellungnahme dazu ab. Es teilte aber mit, im Laufe des vergangenen Tages mehrere Stellungen beschossen zu haben, von denen aus Raketen auf Israel abgefeuert worden seien. Bei der Durchsuchung einer Hamas-Anlage seien Waffen gefunden worden, darunter etwa 250 Raketen. Auch habe man eine Waffenfabrik getroffen.
Angesichts der heftigen Kämpfe sollten in New York die 193 Mitglieder der UN-Vollversammlung noch am Dienstag in einer Dringlichkeitssitzung über eine Resolution abstimmen, mit der eine Feuerpause gefordert wird. Inhaltlich soll sie jenem Entwurf ähneln, den die USA als engster Verbündeter Israels kürzlich mit ihrem Veto im 15-köpfigen Weltsicherheitsrat blockiert hatten. Israel lehnt eine Feuerpause zum jetzigen Zeitpunkt ab, weil es befürchtet, dass dadurch die Hamas wieder erstarken könnte. Resolutionen der UN-Vollversammlung sind nicht rechtlich bindend, sie haben aber durchaus politisches Gewicht.
(geschrieben von Christian Rüttger, redigiert von Sabine Ehrhardt.; Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)