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EU stimmt für Beitrittsgespräche mit Ukraine - Kein Orban-Veto

15.12.2023
um 08:22 Uhr

- von Andreas Rinke und Bart H. Meijer und Krisztina Than

Brüssel (Reuters) - Der EU-Gipfel hat den Weg für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und der Republik Moldau freigemacht.

Das teilte EU-Ratspräsident Charles Michel am Donnerstagabend mit. "Das ist ein Sieg für die Ukraine. Ein Sieg für ganz Europa. Ein Sieg, der motiviert, inspiriert und stärkt", schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj daraufhin auf X. Kanzler Olaf Scholz sprach von einem "starken Zeichen der Unterstützung". "Klar ist: Diese Länder gehören zur europäischen Familie", fügte er hinzu.

Die Entscheidung kam nach stundenlangen Verhandlungen durch eine ungewöhnliche Wende zustande: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der zuvor seinen Widerstand angekündigt hatte, war nicht im Raum, als die EU-Staats- und Regierungschef den Konsens herstellten. Entsprechend erhob niemand Einspruch, als EU-Ratspräsident Charles Michel das Thema aufrief. Nach Angaben mehrerer EU-Diplomaten hatte Scholz zuvor in der Runde der EU-27 Orban den Vorschlag gemacht, dass dieser den Raum vor der Abstimmung verlässt - was Ungarns Ministerpräsident dann auch tat.

Der nationalkonservative Politiker hatte aber nach Angaben mehrerer EU-Diplomaten zuvor ausdrücklich sein Einverständnis gegeben, dass in seiner Abwesenheit über die Aufnahme von Beitrittsgesprächen entschieden wird. Dies ist nach der Geschäftsordnung des Rates möglich. Als Erklärung für sein Verhalten nannte Orban später auf seiner Facebook-Seite, dass er sich nicht habe an der "schlechten Entscheidung" des Gipfels beteiligen wollen. "26 Mitgliedsstaaten haben darauf bestanden, dass diese Entscheidung getroffen werden muss, also hat Ungarn entschieden, dass, wenn 26 so entscheiden, sie ihren eigenen Weg gehen sollen." Die Entscheidung ist allerdings auch für das EU-Mitglied Ungarn bindend.

UNGARN WAR AUF GIPFEL ISOLIERT

Scholz und zahlreiche andere der insgesamt 27 EU-Staats- und Regierungschefs hatten Orban zuvor für seinen Widerstand kritisiert und betont, man dürfe kein falsches Signal an Russland senden. Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatten sich am Morgen zudem mit Orban getroffen. Die EU-Kommission hatte zudem am Mittwoch rund zehn Milliarden Euro freigegeben, die wegen Rechtsstaatsverstößen Ungarns blockiert waren. Die Kommission hatte dies damit begründet, dass die ungarische Regierung zuvor nötige Reformen im Justizwesen vorgenommen habe.

Der EU-Gipfel berät nun noch darüber, eine Finanzierungs-Fazilität über 50 Milliarden Euro für die Ukraine zur Verfügung zu stellen. Davon sollen rund 17 Milliarden Euro Zuschüsse und der Rest Kredite sein. Diese Hilfe soll dem Land Stabilität geben, das sich seit dem russischen Überfall im Februar 2022 gegen Russland verteidigen muss. Auch hier hatte Orban am Donnerstagmorgen zunächst seinen Widerstand angekündigt.

Die Finanzhilfen für die Ukraine sind Teil der Diskussion über die Anpassung der EU-Haushalte bis 2027. Dabei geht es um die Frage, ob die nationalen Regierungen Geld nachschießen, weil es neue Aufgaben gibt und die Kosten für die aufgenommenen Kredite wegen der gestiegenen Zinsen höher sind als erwartet. Michel hatte vorgeschlagen, rund 22 Milliarden Euro bis 2027 nachzuschießen - deutlich weniger als die EU-Kommission gefordert hatte. Kanzler Scholz hatte klar gemacht, dass er die Ausgaben für die Ukraine für zentral hält und dass Deutschland dafür mehr Geld überweisen würde. Andere Länder wie Italien fordern zusätzliches Geld auch für Aufgaben wie Migration.

"SIGNAL DER HOFFNUNG"

Der EU-Gipfel habe zudem Georgien den Kandidatenstatus zuerkannt, schrieb Michel am Abend weiter. Die EU werde Verhandlungen mit Bosnien und Herzegowina aufnehmen, "sobald das erforderliche Maß an Übereinstimmung mit den Beitrittskriterien erreicht ist", hieß es. "Ein deutliches Signal der Hoffnung für die Menschen dort und für unseren Kontinent", fügte der EU-Ratspräsident hinzu.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte zuvor bei seiner Jahres-Pressekonferenz in Moskau gesagt, dass die ausländische Unterstützung für die Ukraine abzunehmen scheine. "Es wird Frieden herrschen, wenn wir unsere Ziele erreicht haben", erklärte Putin. Scholz warnte, dass der EU-Gipfel Putin nicht die falschen Signale senden dürfe.

Am Vorabend des Gipfels hatte Selenskyj noch betont, dass sein Land die notwendigen politischen Reformen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen umgesetzt habe. "Ich zähle darauf, dass die Staats- und Regierungschefs der EU die Bemühungen der Ukraine anerkennen und diesen historischen Schritt vollziehen", erklärte er auf Online-Plattformen. "Die Ukraine hat ihren Teil erfüllt und bewiesen, dass sie trotz beispielloser Herausforderungen großartige Ergebnisse erzielen kann."

(Redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)