- von Holger Hansen
Berlin (Reuters) - Der Bundestag hat die Aussetzung der Schuldenbremse für das Jahr 2023 und einen Nachtragshaushalt beschlossen.
Damit zog die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP am Freitag Konsequenzen aus dem Verfassungsgerichtsurteil zum Klima- und Transformationsfonds (KTF). Mit dem Nachtragsetat werden die Milliarden-Kredite für die Energiepreishilfen bei Gas, Fernwärme und Strom für 2023 auf eine andere Grundlage gestellt. Die Strom- und Gaspreisbremsen laufen Ende des Jahres aus. Nach dem wochenlangen Streit um den Etat 2024 setzte die Ampel-Koalition auch erste Beschlüsse für das kommende Jahr um. Darunter sind die CO2-Preiserhöhung, geringere Einkommensgrenzen beim Elterngeld und die Senkung der Stromsteuer für die Industrie.
Nach den Jahren 2020 bis 2022 wurde die Schuldenbremse damit das vierte Jahr in Folge ausgesetzt. Der Beschluss fiel mit großem Rückhalt aus den Ampel-Fraktionen: Es gab im Bundestag 414 Ja- und 242 Nein-Stimmen sowie neun Enthaltungen. Die erforderliche Kanzlermehrheit von 369 Stimmen wurde somit deutlich übertroffen. Die Ampel-Koalition zählt 417 Abgeordnete.
Die Bundesregierung begründet die erneute Aussetzung der Schuldenbremse mit einer im Grundgesetz als Ausnahme vorgesehenen außergewöhnlichen Notlage. Sie verweist auf den Ukraine-Krieg und daraus resultierende besonders hohe Energiepreise im Frühjahr 2023. Ihre Aussetzung war Voraussetzung für die Verabschiedung eines Nachtragsetats für 2023, mit dem im Wesentlichen die Kreditfinanzierung der Energiepreishilfen aus dem Krisenfonds WSF auf eine andere rechtliche Basis gestellt wird. Frühere Kreditermächtigungen waren durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts verfallen.
AMPEL SPRICHT VON UMBUCHUNG - UNION HAT WEITER ZWEIFEL
Mit einer geplanten Neuverschuldung von 70,6 Milliarden Euro wird die laut Schuldenbremse zulässige Kreditaufnahme um 44,8 Milliarden Euro überschritten. Davon entfallen 43,2 Milliarden Euro auf die Energiepreishilfen bei Gas, Fernwärme und Strom. Rund 1,6 Milliarden Euro sind für den Fluthilfefonds zur Hochwasserkatastrophe im Ahrtal 2021 vorgesehen. Auch dessen Finanzierung aus alten Kreditermächtigungen war nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum KTF hinfällig. Die als Folge des Gerichtsurteils zunächst verhängte Haushaltsperre für 2023 wurde am Donnerstag aufgehoben, wie aus einem Reuters vorliegenden Schreiben des Finanzministeriums hervorgeht.
FDP-Chefhaushälter Otto Fricke verteidigte das Vorgehen über einen Nachtragsetat. Es gehe allein um eine Umbuchung von ohnehin vorgesehenen Krediten in den Kernhaushalt, "ohne neue Schulden zu machen". Unions-Vizefraktionschef Mathias Middelberg warf der Ampel indes vor, verfassungsrechtliche Bedenken blieben mit Blick auf andere Sondervermögen bestehen. Der CDU-Politiker attackierte auch die Pläne der Ampel für den Etat 2024, der nach wochenlangem Streit in der Koalition voraussichtlich am 2. Februar nächsten Jahres verabschiedet wird. Dabei gehe es nur um ein "Rettungspaket für die Koalition" und kein "echtes Reformpaket". SPD-Haushälter Dennis Rohde warf Middelberg vor, die Union habe versucht, die Ampel kaputtzureden. Das sei nicht gelungen: "Ihr destruktiver Populismus ist gescheitert."
CO2-PREIS STEIGT 2024 AUF 45 EURO PRO TONNE
Nach der Grundsatzeinigung beim Haushalt 2024 setzte die Koalition erste Beschlüsse um, die für das kommende Jahr wirksam sind. Mit dem Haushaltsfinanzierungsgesetz beschloss der Bundestag unter anderem eine Anhebung des Kohlendioxid-Preises (CO2) ab Anfang nächsten Jahres, durch den sich Tank- und Heizkosten bei fossilen Energieträgern erhöhen. Benzin dürfte sich dadurch um etwa 4,5 Cent pro Liter verteuern. Beschlossen wurden auch die Absenkung der Stromsteuer für das Produzierende Gewerbe und Einschränkungen beim Elterngeld.
Die Richter in Karlsruhe hatten am 15. November entschieden, dass unter Aussetzung der Schuldenbremse aufgenommene Kredite nur in dem Jahr verwendet werden dürfen, in dem die Notlage erklärt wurde. Das Gericht strich daher 60 Milliarden Euro, die sie aus Corona-Krediten an den KTF übertragen hatte, wodurch die Koalition neue Beratungen über den Etatentwurf 2024 musste. Auch der im Jahr 2022 mit Notlagen-Krediten über 200 Milliarden Euro gefüllte Energie-Krisenfonds WSF war damit für 2023 hinfällig. Der WSF läuft nun zum Jahresende aus. Daraus geplante Subventionen von 5,5 Milliarden Euro für die Stromnetzentgelte hat die Ampel mangels Gegenfinanzierung ersatzlos gestrichen.
(Mitarbeit: Christian Krämer, redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)