- von Klaus Lauer und Rene Wagner und Reinhard Becker
Berlin (Reuters) - Die deutsche Wirtschaft steuert zum Jahresende Richtung Rezession - und die Firmen blicken skeptischer auf das erste Halbjahr 2024.
Das wichtigste Konjunkturbarometer signalisierte am Montag, dass sich die Stimmung der Unternehmen im Dezember überraschend eingetrübt hat. Das Ifo-Geschäftsklima sank zum Vormonat um 0,8 Punkte auf 86,4 Zähler, wie das Münchner Ifo-Institut bei seiner Umfrage unter rund 9000 Führungskräften herausfand. Zuvor hatte es zwei Anstiege in Folge gegeben und Fachleute hatten ein weiteres Plus erwartet. Doch nicht zuletzt der Haushaltskompromiss der Ampel-Regierung verunsichert viele Firmen. "Die Bescherung zum Weihnachtsfest für die deutsche Wirtschaft fällt dieses Jahr bescheidener aus", brachte es Ifo-Konjunktur-Experte Klaus Wohlrabe im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters auf den Punkt.
Viele Ökonomen sprachen von einem Dämpfer zum Jahresende. "Das ist eine kalte Dusche", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Die maue Stimmung zog sich fast durch alle Branchen: Bei der Industrie trübte sich die Laune in den Chef-Etagen deutlich ein. Bergab ging es auch im Handel, der bisher ernüchtert auf das so wichtige Weihnachtsgeschäft schaut. Am Bau, der wegen hoher Zinsen unter dem Einbruch am Wohnungsbau leidet, fiel das Ifo-Barometer sogar auf den niedrigsten Wert seit September 2005. Einzig bei den Dienstleistern ging es leicht bergauf - aber mit Ausnahme der Gastronomie. Die Branche fürchtet Einbußen, wenn die Mehrwertsteuer für Speisen ab Januar wieder von sieben auf 19 Prozent steigt. "Die Preise werden steigen in der Gastronomie", sagte Wohlrabe.
"STROHFEUER" UND "KELLERKIND" - PESSIMISMUS KEHRT ZURÜCK
Die befragten Top-Manager und -Managerinnen beurteilten ihre Geschäftslage und die Aussichten für die kommenden sechs Monate wieder pessimistischer. "Die Konjunktur bleibt auch in der Weihnachtszeit schwach", sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die Dezember-Daten passten zum gesamten Jahr, ergänzte Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. "Wenn es zarte Konjunkturhoffnungen gab, entpuppten sich diese als Strohfeuer." Die maue Stimmung sei kein Wunder, denn die Unternehmen in Deutschland hätten es nicht leicht, erläuterte Andreas Scheuerle von der DekaBank. "Die Energiekosten, Löhne und Steuern sind zu hoch, das Bildungsniveau sinkt und die digitale Infrastruktur ist unzureichend." Und nun kämen wegen der Haushaltskrise auch noch zusätzliche Belastungen durch höhere Abgaben und Ausgabensenkungen sowie "eine gehörige Portion Verunsicherung" dazu. Chefvolkswirt Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank sieht den Ifo-Index als "Kellerkind" - "die Konjunkturmisere setzt sich immer mehr fest". Jens-Oliver Niklasch von der LBBW sagte mit Blick auf den Etatkompromiss der Regierung: "Das Fass zum Überlaufen gebracht hat dann wohl das Haushaltsurteil der Karlsruher Richter."
Die Wirtschaft ist damit aktuell wieder in der Abwärtsspirale. Die Bundesbank und das Ifo-Institut rechnen für das laufende vierte Quartal erneut mit einem leicht fallenden Bruttoinlandsprodukt (BIP). Deutsche-Bank-Analyst Marc Schattenberg erwartet ein Minus von 0,2 Prozent. Da das BIP bereits im Sommer um 0,1 Prozent sank, wäre es das zweite Quartal in Folge mit schrumpfender Wirtschaftskraft und Deutschland nach gängiger Definition von Ökonomen damit in einer vorübergehenden - sogenannten technischen - Rezession.
REZESSION ENDE 2023 - WENIG ODER KEIN WACHSTUM 2024
Zudem sind die Aussichten nicht gerade rosig, auch wenn die Bundesbank Anfang 2024 wieder leichtes Wachstum erwartet. Denn führende Wirtschaftsforschungsinstitute wie das Ifo, das Berliner DIW und das IWH aus Halle haben ihre Prognosen für das nächste Jahr gesenkt und erwarten nur noch 0,5 bis 0,9 Prozent Wachstum. Das gewerkschaftsnahe IMK rechnet sogar damit, dass die Wirtschaft 2024 - wie 2023 - um 0,3 Prozent schrumpft. Denn der Haushaltskompromiss der Regierung bremse die Konjunktur.
Wie vorsichtig viele Firmen derzeit wegen hoher Kosten und des Fachkräftemangels vorgehen, zeigt eine Umfrage der Deutschen Bank unter Finanzentscheidern von Unternehmen in Deutschland. Demzufolge wollen 16 Prozent der Betriebe 2024 gar nicht investieren und 27 Prozent weniger als in diesem Jahr. Bei 45 Prozent dürften die Ausgaben gleich hoch sein und bei 13 Prozent steigen.
(Bericht von Klaus Lauer, Rene Wagner und Reinhard Becker, Mitarbeit: Tom Sims, redigiert von Sabine Wollrab - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)