- von Andreas Rinke und Christian Krämer und Miranda Murray
Berlin (Reuters) - Eine Blockade-Aktion aufgebrachter Bauern gegen Vizekanzler Robert Habeck hat parteiübergreifende Empörung und Warnungen vor einer Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung ausgelöst. Ein Sprecher der Bundesregierung sprach von einer "Verrohung der politischen Sitten". Habeck selbst warnte, dass Nötigung und Gewalt die Protestkultur gefährdeten. "In Worten wie Taten sollten wir dem entgegentreten", so der Grünen-Politiker. Der Deutsche Bauernverband distanzierte sich von der Blockade, hält aber an den für kommende Woche angekündigten Protestaktionen fest. In Regierungskreisen hieß es, man sehe die aufgeheizte Stimmung vor Landtagswahlen gerade in Ostdeutschland mit Sorge. Kanzler Olaf Scholz war bei seinem jüngsten Besuch in Hochwassergebieten vereinzelt beschimpft worden.
Aufgebrachte Landwirte hatten Bundeswirtschaftsminister Habeck am Donnerstagabend am Verlassen einer Fähre gehindert, als er vom Urlaub auf Hallig Hooge zurückkehren wollte. Die Polizei sprach von 250 bis 300 Teilnehmern und griff ein, die Fähre legte mit den Passagieren an Bord aber zunächst wieder ab. Später konnte Habeck das Festland erreichen und befindet sich nun nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums in seinem Haus in Schleswig-Holstein.
Bereits in den vergangenen Jahren hatte die Zahl an Übergriffe auf Politiker zugenommen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte vor einer Radikalisierung. "Wenn Politiker von einem aufgepeitschten Mob zu Hause aufgesucht und als 'Volksverräter' beschimpft werden, wenn sie symbolisch an Galgen aufgehängt werden oder wie jetzt Vizekanzler Robert Habeck in seinem Privatleben bedroht und bedrängt werden, dann sind das massive und inakzeptable Grenzüberschreitungen", sagte sie der Funke-Mediengruppe. "Wir sollten nie vergessen, wo politische Aggression hinführen kann. Das rechtsextremistische Mordattentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat gezeigt, wie brandgefährlich Hetze sein kann."
BAUERNVERBAND DISTANZIERT SICH - KÜNDIGT ABER PROTESTE AN
Der Bauernverband distanzierte sich von der Aktion gegen Habeck am Fährhafen, kündigte aber weitere Proteste an. "Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht. Bei allem Unmut respektieren wir selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern", teilte der Präsident des Bauernverbands, Joachim Rukwied, am Freitag mit. Hintergrund des Protests ist der Streit über die Regierungspläne zur Kürzung der Subventionen für Agrardiesel, die inzwischen teilweise modifiziert wurden. "Wir fordern die komplette Rücknahme dieser Steuererhöhungen ohne Wenn und Aber. Ich rechne damit, dass Zehntausende Trecker zu unseren Sternfahrten in ganz Deutschland kommen werden", sagte Rukwied der "Bild". Dies werde Verkehrsbeeinträchtigungen auslösen.
Angesichts von Warnungen, dass die Proteste von rechtsgerichteten Kräften unterwandert werden könnten, hatte der Bauernverband auf der Plattform X betont: "Für uns ist dabei klar: Rechtsextreme Gruppierungen, Verschwörungstheoretiker und andere Radikale haben bei uns keinen Platz."
Etliche Mitglieder der Bundesregierung sowie NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) äußerten sich empört über die Blockade. "Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein", schrieb Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf X. "Gewalt und Nötigung sind verachtenswert und schaden auch dem Anliegen", kritisierte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner schrieb: "Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren! Das diskreditiert das Anliegen vieler Landwirte, die friedlich demonstrieren". Auch die schleswig-holsteinische Landesregierung übte Kritik.
Die AfD-Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel warf Habeck dagegen vor, "krude Erfolgsbilanzen zur Energiewende aufzustellen". Er werde von Bürgern nicht mehr ernstgenommen. "Und statt den Dialog zu suchen, begeht er lieber Fährenflucht", schrieb sie auf X.
Habeck selbst betonte, dass er bedauere, dass am Fährhafen keine Gesprächssituation mit den Landwirten zustande gekommen sei. Er bedankte sich bei den Mitreisenden und der Crew auf der Fähre. Sie seien unvermittelt in Mitleidenschaft geraten. "Und ich danke den Einsatzkräften der Polizei, die das Schiff gesichert haben."
Die Polizei vor Ort schrieb von einer vorbereiteten Aktion. Bereits am Nachmittag und mehr als eine Stunde vor Ankunft der Fähre seien 80 landwirtschaftliche Fahrzeuge zu dem Fähranleger gefahren. Aus der Demonstration heraus hätten später 25 bis 30 Personen versucht, auf die Fähre zu gelangen. "Sie konnten aber durch die vor Ort befindlichen Beamten, teilweise unter Einsatz von Pfefferspray, zurückgehalten werden", teilte die Polizei mit. Nach Ablegen der Fähre habe sich die Lage beruhigt.
(Redigiert von Elke Ahlswede. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)