- von Summer Zhen und Kevin Yao
Peking/Hongkong (Reuters) - Chinas Notenbank eilt der Wirtschaft angesichts der holprigen Erholung im Reich der Mitte erneut zur Hilfe.
Zentralbankchef Pan Gongsheng kündigte am Mittwoch an, den Reservesatz für Geschäftsbanken (RRR) ab 5. Februar zu senken - und zwar um einen halben Prozentpunkt. Dies ist die kräftigste Kappung des Reservesatzes seit Dezember 2021. Je geringer der RRR ist, desto mehr Spielraum haben die Banken zur Vergabe von Krediten. Mit der Senkung wird rund eine Billion Yuan (umgerechnet rund 128 Milliarden Euro) an Liquidität für das Finanzsystem freigesetzt, wie Pan vor der Presse erläuterte.
Der medienwirksame Auftritt des Notenbankchefs gilt als ungewöhnlich, da die Zentralbank die Öffentlichkeit über ihre Entscheidungen zumeist nur schriftlich auf ihrer Homepage in Kenntnis setzt. Die Botschaft kam bei den arg gebeutelten Börsianern gut an: In Hongkong baute der Hang-Seng-Index seine Gewinne aus, nachdem die Senkung des Reservesatzes angekündigt wurde. Er beendete die Sitzung mit einem Plus von 3,6 Prozent und verzeichnete damit den größten Tagesanstieg seit zwei Monaten.
Die Aktien in Festland-China hatten vor der Ankündigung geschlossen, profitierten aber bereits von der Hoffnung auf marktstützende Maßnahmen. Der Shanghaier Index legte 1,8 Prozent zu. Chinas Regierung hatte "energische und wirksame Schritte" zur Stabilisierung des unter die Räder geratenen heimischen Aktienmarktes angekündigt. Laut Agentur Bloomberg geht es dabei um ein geplantes Maßnahmenpaket im Wert von rund 279 Milliarden Dollar.
Die Notenbank der Volksrepublik (PBOC) hatte bereits im September und März 2023 an der Stellschraube RRR gedreht, um dem Finanzsystem mehr Mittel zuzuführen. Den Leitzins - die sogenannte Loan Prime Rate (LPR) - hat sie jüngst allerdings nicht angetastet. Experten erwarten jedoch, dass die Notenbank auch hier noch eine geldpolitische Lockerung vornehmen und den einjährigen LPR im Laufe des ersten Quartals senken wird. Die meisten neuen und ausstehenden Kredite in China basieren auf diesem einjährigen LPR. Mit einer Senkung könnte somit die Wirtschaft weiter angeschoben werden.
"Die Senkung des Mindestreservesatzes ist ein Zeichen dafür, dass die PBOC das ganze Jahr über an einer lockeren Geldpolitik festhalten wird", sagte Xu Tianchen, Leitender Ökonom bei der Forschungs- und Analyseabteilung der Economist Group.
Das chinesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte laut dem Nationalen Statistikamt (NBS) in den drei Monaten vor der Jahreswende nur um 1,0 Prozent zu. Das Wachstum schwächte sich damit gegenüber dem im Sommer erreichten Anstieg von 1,5 Prozent merklich ab. Auf der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt nach den USA lastet weiter eine Immobilienkrise. Zudem sind viele Regionalregierungen, die riesige Summen in den Ausbau der Infrastruktur gesteckt haben, hoch verschuldet. Zugleich bleibt der private Konsum bei seit Monaten sinkenden Preisen verhalten.
PREISVERFALL SORGT FÜR DILEMMA
Das Dilemma für die Notenbank besteht darin, dass zur Konjunkturförderung gedachte Zinssenkungen den Preisverfall beschleunigen könnten. Experten verweisen darauf, dass ein Großteil der Kredite in den Infrastruktursektor und auch in Überkapazitäten fließt, wodurch sich weiterer Deflationsdruck aufbauen könne.
Der China-Chefökonom der Deutschen Bank, Yi Xiong, geht davon aus, dass das chinesische BIP 2024 um 4,7 Prozent steigen wird. Er erwartet, dass sich die Wirtschaft gegen Mitte des Jahres aus der Phase sinkender Preise löst. Für das Gesamtjahr könne dann eine Inflationsrate von rund einem Prozent stehen.
(Bericht von Ellen Zhang, geschrieben von Reinhard Becker, Mitarbeit Anika Ross, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)