Berlin (Reuters) - Wegen der zunehmenden Alterung der Gesellschaft braucht Deutschland in den kommenden Jahren Hunderttausende Pflegekräfte.
Bis zum Jahr 2049 werden voraussichtlich zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch zu seiner Vorausberechnung mitteilte. Damit werde der Bedarf an erwerbstätigen Pflegekräften - ausgehend von 1,62 Millionen im Vor-Corona-Jahr 2019 - bis 2049 voraussichtlich um ein Drittel auf 2,15 Millionen steigen. Mit verbesserten Arbeitsbedingungen, Automatisierung und Zuwanderung lässt sich Experten zufolge die Lücke aber verkleinern.
"Der Pflegebereich ist in der Tat einer derjenigen mit den stärksten Engpässen", sagte Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Nachrichtenagentur Reuters. "Und er wird in die Klemme geraten, denn mit der Alterung steigt der Bedarf." Gleichzeitig sinke das Arbeitskräftepotenzial. Gerade in belastenden Berufen würden Beschäftigte frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. "Hier ist es zentral, Arbeitsbedingungen und Tätigkeitsprofile so zu gestalten, dass ein Verbleib im Job ermöglicht wird." Auch Automatisierung könne eine erhebliche Entlastung bringen - weniger für die Arbeit mit den Menschen selbst als für Verwaltungstätigkeiten. Künstliche Intelligenz könne viel Zeit einsparen und eine Konzentration auf die Kerntätigkeit ermöglichen.
"Zuwanderung war bisher schon ein wichtiger Kanal, um Pflegebedarfe zu decken und wird angesichts der demografischen Entwicklung noch wichtiger", nannte Weber einen weiteren Punkt. Die Potenziale in der EU seien aber begrenzt. Für Menschen aus Drittstaaten sei entscheidend, dass sie ihre Möglichkeiten in Deutschland auch nutzen könnten. "Gerade die berufliche Ausbildung ist außerhalb Deutschlands wenig präsent, dafür gilt Pflege oft als Studienfach", sagte IAB-Experte Weber. "Wir müssen in der Lage sein, in Deutschland etwas anders ausgerichtete Kompetenzen anzuerkennen und weiterzuentwickeln."
Für die Prognose hat das Statistikamt zwei Varianten mit unterschiedlichem Fokus auf demografische und gesellschaftliche Veränderungen vorausberechnet. Die sogenannte "Trend-Variante" berücksichtigt auch die positiven Trends am Pflegearbeitsmarkt aus den 2010er Jahren. "Sie verdeutlicht somit die Potenziale, die sich für das Angebot an Pflegekräften bei einer Fortsetzung dieser Entwicklung in den Pflegeberufen ergeben", hieß es dazu. Demnach steigt die Zahl der erwerbstätigen Pflegekräfte bis 2034 auf 1,74 Millionen (plus sieben Prozent gegenüber 2019) und anschließend bis 2049 auf 1,87 Millionen (plus 15 Prozent). Aber selbst nach dieser günstigsten Variante läge die Zahl bereits im Jahr 2034 um 90.000 unter dem erwarteten Bedarf. Bis 2049 würde sich diese Lücke auf voraussichtlich 280.000 vergrößern.
Die sogenannte "Status-quo-Variante" zeigt ausschließlich die Folgen der demografischen Entwicklungen auf die künftige Zahl an Pflegekräften. Sie berücksichtigt folglich keine Trends der Vergangenheit auf dem Arbeitsmarkt. Nach dieser Variante würde die Zahl der Pflegekräfte von 1,62 Millionen im Jahr 2019 bis 2034 auf 1,48 Millionen sinken (minus neun Prozent gegenüber 2019). Bis 2049 würde sie auf 1,46 Millionen fallen (minus zehn Prozent). "Haupttreiber dieser Entwicklung ist das verstärkte Erreichen des Renteneintrittsalters der Babyboomer-Generation in den nächsten zehn Jahren, wodurch dem Arbeitsmarkt alleine aus Altersgründen benötigte Pflegekräfte fehlen werden", so die Statistiker.
Nach dieser ungünstigsten Variante der Vorausberechnung würden 2034 rechnerisch 350.000 Pflegekräfte fehlen. Bis 2049 würde sich diese Lücke auf 690.000 vergrößern. Das entspricht gut zwei Fünfteln (43 Prozent) der 2019 in Pflegeberufen tätigen Personen.
(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)