- von Rene Wagner
Brüssel/Berlin (Reuters) - Deutschland hat die Euro-Zone durch seine Konjunkturkrise beinahe in eine Rezession gezogen.
Nur durch ein Wachstum der einst als Sorgenkinder der Währungsunion geltenden Südländer Italien, Spanien und Portugal reichte es von Oktober bis Dezember wenigstens noch zu einer Stagnation des Bruttoinlandsproduktes. Die deutsche Wirtschaft schrumpfte dagegen um 0,3 Prozent zum Vorquartal - nur Irland schnitt noch schlechter ab. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht Europas größte Volkswirtschaft auch in diesem Jahr als Bremsklotz: Er halbierte seine Wachstumsprognose nahezu auf 0,5 Prozent, während für die Euro-Zone insgesamt 0,9 Prozent erwartet werden. Angesichts der Konjunkturkrise fordern führende Wirtschaftsverbände von der Bundesregierung ein Gegensteuern.
Die Flaute zum Jahresausklang 2023 geht in Deutschland vor allem auf die "deutlich" gesunkenen Investitionen in Bauten und Ausrüstungen wie Maschinen zurück, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Die hohe Inflation dämpft zudem die Kauflaune der Verbraucher, während die maue Weltkonjunktur die Exporteure ausbremst. Nach Prognose des Ifo-Instituts wird das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Quartal das zweite Mal in Folge sinken, und zwar um 0,2 Prozent. "Damit würde die deutsche Wirtschaft in der Rezession stecken", sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Im Gesamtjahr 2023 schrumpfte sie um 0,3 Prozent.
In der Wirtschaft nimmt die Sorge vor einer Dauerkrise zu. "Der Frust und die Verunsicherung bei vielen Betrieben wachsen ? und die Verlagerung von industrieller Produktion ins Ausland nimmt zu, gleichzeitig nimmt die Bereitschaft zur Existenzgründung oder Unternehmensübernahme junger Menschen immer mehr ab", schreiben die Spitzenverbände BDA, BDI, DIHK und ZDH in einem Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Mit einem kräftigen Aufbruchssignal und verlässlichen, wirtschaftsfreundlichen Rahmenbedingungen müsse die Politik wieder mehr Vertrauen aufbauen.
"IBERISCHE HALBINSEL ALS POWERHOUSE"
Andere große Euro-Länder schlagen sich aktuell weit besser als Deutschland: In Frankreich stagnierte die Wirtschaft im vierten Quartal, während Italien ein Wachstum von 0,2 Prozent und Spanien sogar von 0,6 Prozent schaffte. "Die Iberische Halbinsel ist das europäische Powerhouse", sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel, da Portugal mit 0,8 Prozent sogar noch kräftiger zulegte als der spanische Nachbar.
Das Konjunkturgefälle zwischen den Euro-Ländern dürfte sogar noch größer werden, sagen Experten voraus. "Die südeuropäischen Staaten werden von einer erneut guten Tourismussaison profitieren, der Urlaub genießt bei vielen Verbrauchern auch im laufenden Jahr eine hohe Präferenz", betonte Gitzel. "Die deutsche Wirtschaft mit ihrem hohen Exportanteil wird hingegen weiter im Hintertreffen sein, solange die Weltwirtschaft schwach bleibt." Immerhin: Der IWF schraubte seine Prognose für das globale Wachstum in diesem Jahr von 2,9 auf 3,1 Prozent nach oben.
ZINSSENKUNGEN DÜRFTEN ERST 2025 HELFEN
Auch wenn die Rezession knapp vermieden wurde, so stehen die Weichen noch längst nicht auf Aufschwung. So trübte sich die Stimmung in der Wirtschaft der Euro-Zone im Januar leicht ein: Das Barometer für das Geschäftsklima fiel auf 96,2 Punkte, wie aus den Daten der EU-Kommission hervorgeht. Besonders in dem von der Hochzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) getroffenen Bausektor trübte es sich ein.
"Angesichts der weiterhin hohen Inflation wird die EZB ihre Leitzinsen voraussichtlich erst ab dem Sommer senken, was sich erst 2025 positiv auf die Konjunktur auswirken dürfte", sagte Commerzbank-Ökonom Christoph Weil. Auch China dürfte angesichts der Krise am dortigen Immobilienmarkt als Konjunkturlokomotive ausfallen. "Damit besteht kaum Hoffnung, dass der Export das Wachstum im Euroraum stärker anfacht", sagte Weil.
KRANKENSTAND UND STREIKS BELASTEN
Laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde wird die Schwächephase auf kurze Sicht wahrscheinlich anhalten. Wann die Zinswende aber vollzogen werden soll, ließen die Währungshüter zuletzt offen. An der Börse wird die Wahrscheinlichkeit mit 80 Prozent veranschlagt, dass die Euro-Notenbank im April erstmals wieder die Zinsen senken wird. Ein solcher Schritt im Juni gilt sogar als sichere Wette. Niedrigere Zinsen machen Kredite billiger, was die Konjunktur beleben könnte.
Viele Branchen klagen über eine sinkende Nachfrage, während die dicken Auftragspolster aus der Corona-Zeit abgeschmolzen sind. "Zusätzlich wird die Wirtschaft durch eine Reihe von Sonderfaktoren belastet", sagte Wollmershäuser. Dazu zählten der hohe Krankenstand, die Streiks bei der Deutschen Bahn sowie der außergewöhnlich kalte und schneereiche Januar. Der Ifo-Geschäftsklimaindex signalisierte zum Jahresstart eine beschleunigte Talfahrt: Das Barometer rutschte im Januar auf den schlechtesten Wert seit Mai 2020.
(geschrieben von Rene Wagner, Klaus Lauer, Christian Krämer, redigiert von Reinhard Becker. - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)