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EU-Lieferkettenpläne wackeln - Ampel kann wegen FDP nicht zustimmen

01.02.2024
um 16:17 Uhr

- von Christian Krämer und Holger Hansen

Berlin (Reuters) - Die FDP verhindert womöglich erneut einen bereits auf EU-Ebene ausgehandelten Kompromiss.

Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann teilten am Donnerstag mit, die Bundesregierung werde den EU-Plänen für ein strenges Lieferkettengesetz nicht zustimmen. Damit ist insgesamt die EU-Zustimmung fraglich und der nächste Streit in der Ampel programmiert. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will mit Vorschlägen für einen Bürokratieabbau die Liberalen locken, ihre Blockade bei der EU-Lieferkettenrichtlinie noch aufzugeben.

Heil leitete am Donnerstag nach Angaben aus seinem Ministerium die regierungsinterne Ressortabstimmung über seine Empfehlung ein, dem EU-Vorhaben zuzustimmen. Er verband dies mit Eckpunkten zur Entlastung von Unternehmen, mit denen sich das Kabinett am 7. Februar befassen soll. Die Änderungen seien an die Zustimmung der Regierung zur EU-Richtlinie geknüpft. Konkret gehe es um Erleichterungen für Unternehmen bei Berichtspflichten, etwa aus dem deutschen Lieferkettengesetz, das über 3000 größere Firmen betrifft. Auch sollten entlastende Teile der EU-Richtlinie vorzeitig angewendet werden. "Ich werbe für Zustimmung", sagte Heil in Berlin. Der Wohlstand der deutschen Wirtschaft dürfe nicht auf Ausbeutung beruhen. Weltweit seien 160 Millionen Kinder Zwangsarbeit ausgesetzt. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in Brüssel, er nehme die Uneinigkeit in seiner Regierung zur Kenntnis. Fortschritt sei manchmal eine Schnecke.

Die beiden FDP-Politiker Lindner und Buschmann betonten dagegen in einem Reuters vorliegenden Schreiben, sie könnten das Ergebnis der Beratungen zwischen EU-Kommission, Parlament und Mitgliedsländern nicht mittragen. "Im Rat der Europäischen Union hat dies eine Enthaltung Deutschlands zur Folge, die im Ergebnis wie eine 'Nein'-Stimme wirkt". Auf der Kurznachrichtenplattform X schrieb Buschmann: "Unsere Sorgen sind nicht entkräftet, die Risiken für die europäische und deutsche Wirtschaft überwiegen." Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte, Heil sei auf die FDP zugegangen. "Damit sollte Deutschland nun aber auch dem europäischen Lieferkettengesetz zustimmen."

Die EU-Richtlinie soll einem EU-Vertreter vermutlich am 9. Februar von den 27 EU-Staaten angenommen werden. Dafür ist eine qualifizierte Mehrheit nötig. Mindestens 15 EU-Staaten müssen dafür sein und zugleich 55 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Weil im Frühsommer die Europawahl ansteht, drängt die Zeit. Wird die Richtlinie nicht angenommen, ist es unwahrscheinlich, dass sie vor der Wahl noch modifiziert wird.

WIRTSCHAFT ERLEICHTERT

"Die deutsche Industrie ist erleichtert", sagte der Präsident des Industrieverbandes BDI, Siegfried Russwurm. Die EU-Pläne seien wirklichkeitsfremd und würden Unternehmen uneinlösbare Pflichten aufbürden, die zudem mit zusätzlichem bürokratischen Aufwand verbunden wären. "Es ist gut, dass dieser Irrweg von Berlin nicht unterstützt wird."

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall begrüßte den Widerstand der FDP innerhalb der Ampel-Regierung mit SPD und Grünen: "In letzter Konsequenz würden künftig noch mehr Unternehmen gezwungen, sich aus einzelnen Ländern zurückzuziehen als schon nach Einführung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes", sagte Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf. "Das schadet der Resilienz unserer Lieferketten und damit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Geholfen ist damit niemandem." Die bisherigen Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz seien nicht gut. Wolf sprach von einem Bürokratie-Tsunami. "Profitiert davon haben ausschließlich Berater und Rechtsanwälte."

Die EU will Unternehmen für Missstände in ihren Lieferketten in die Pflicht nehmen. Menschenrechte und Umweltstandards sollen so stärker als bisher eingehalten werden. Strafen bei Verstößen könnten sich auf bis zu fünf Prozent des weltweiten Umsatzes der Firmen belaufen.

Der Handelsverband HDE kritisierte, dass bereits Unternehmen ab 500 Mitarbeitern erfasst würden. In Risikosektoren - also der Textilbranche, Agrarwirtschaft und Lebensmittelindustrie - seien es sogar Betriebe ab 250 Beschäftigten. "Das ist für kleine und mittelständische Unternehmen im Einzelhandel schlicht nicht zu stemmen, stellt aber auch größere Unternehmen vor enorme zusätzliche bürokratische Belastungen und Rechtsrisiken", so der HDE-Präsident Alexander von Preen.

FDP LOBT HEIL-VERHANDLUNGSERFOLGE - UND IST DOCH DAGEGEN

Lindner und Buschmann attestierten dem in den EU-Verhandlungen federführenden Heil "beachtliche Verhandlungserfolge". Gleichwohl könnten sie nicht zustimmen. "Das Trilog-Ergebnis würde dazu führen, dass Unternehmen für Pflichtverletzungen in der Lieferkette in erheblicher Weise zivilrechtlich haften", so die beiden FDP-Minister. Auch sei der Anwendungsbereich des Entwurfs sehr weit, so dass deutlich mehr Unternehmen als nach derzeitiger deutscher Rechtslage betroffen wären. Die Sanktionsmöglichkeiten erschienen auch unangemessen. "Es ist zudem mit erheblichen finanziellen und personellen, aber auch bürokratischen Mehrbelastungen für unsere Unternehmen zu rechnen." Deutsche Unternehmen könnten Auslandsengagements infrage stellen und am Ende durch chinesische Konzerne ersetzt werden. Das könnte ökologisch und menschrechtlich zu einer Verschlechterung der Lage führen.

Vergangenes Jahr hatte die FDP beim EU-Beschluss für ein Aus von Verbrennungsmotoren ab 2035 in letzter Minute die Einigung noch aufgeschnürt, um Ausnahmen durchzusetzen. Demnach können Autos mit Verbrennungsmotoren weiter neu zugelassen werden, wenn sie ausschließlich mit CO2-freien Kraftstoffen - sogenannten E-Fuels - betrieben werden.

(Mitarbeit von Markus Wacket, Andreas Rinke und Alexander Ratz, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)