- von Marc Jones
Coventry (Reuters) - Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte aus Sicht des kroatischen Notenbankchefs Boris Vujcic nicht überstürzt die Zinsen senken.
Für die Glaubwürdigkeit der Notenbank sei es besser, zuvor sicherzustellen, dass die Inflation klar unter Kontrolle gebracht worden sei, sagte das Mitglied des EZB-Rats, der über die Zinsen in der Euro-Zone mitentscheidet, in einem am Dienstag veröffentlichten Interview. "Wir brauchen nun etwas Geduld", sagte Vujcic. "Was wir bisher in Bezug auf die Disinflation gesehen haben, war gut, aber wir sehen auch noch eine Menge an Widerstandsfähigkeit im Dienstleistungssektor und bei der sogenannten Binneninflation", fügte er hinzu. Vujcic verwies auch auf die anhaltende Stärke des europäischen Arbeitsmarktes.
Aus den Terminkursen am Finanzmarkt geht derzeit hervor, dass Investoren die Wahrscheinlichkeit einer ersten Zinssenkung im April inzwischen auf 55 Prozent taxieren. Für das Zinstreffen der Euro-Wächter am 6. Juni ist ein Schritt nach unten sogar bereits fest in den Kursen enthalten. Die EZB hatte zuletzt auf ihren Zinssitzungen im Oktober, Dezember und Januar bei den Zinsen pausiert. Aktuell liegt der am Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz bei 4,00 Prozent - das ist das höchste Niveau seit dem Start der Währungsunion 1999.
Es sei definitiv wichtig, diesmal richtigzuliegen, führte der kroatische Notenbankchef aus. Vujcic verwies in diesem Zusammenhang auf ein Papier des Internationalen Währungsfonds (IWF), in dem davor gewarnt wird, dass Zentralbanken zu oft zu früh den Sieg über die Inflation erklärt hätten. "Ich glaube nicht, dass wir einen solchen Fehler riskieren sollten", merkte er an.
Manche Volkswirte hatten die EZB kritisiert, sie sei zu spät aus ihrer jahrelangen extrem lockeren Geldpolitik ausgestiegen. Die Währungshüter hatten im Juli 2022, als die Wiederöffnung der Wirtschaft nach der Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Preise in die Höhe getrieben hatten, erstmals seit 2011 die Zinsen wieder nach oben gesetzt. Es folgte ein Stakkato an Zinsanhebungen - bis einschließlich September 2023 wurden die Sätze insgesamt zehn Mal in Folge erhöht.
VUJCIC - EIN ODER ZWEI MONATE NICHT ENTSCHEIDEND
Hinsichtlich des genauen Zeitpunkts, wann die EZB nun die Zinsen erstmals wieder senken sollte, äußerte sich Vujcic flexibel. Da eine schwere Rezession in der Euro-Zone inzwischen unwahrscheinlich sei, komme es nicht auf ein oder zwei Monate an. "Wir werden unser Ziel wahrscheinlich in Form einer weichen Landung erreichen, was ein Erfolg ist", sagte er. "Ich denke, wir sollten damit zufrieden sein".
Die Inflation in der 20-Länder-Gemeinschaft lag im Januar bei 2,8 Prozent. Damit ist die Zielmarke der EZB von 2,0 Prozent Teuerung wieder in Reichweite gerückt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Euro-Zone stagnierte zuletzt von Oktober bis Dezember im Vergleich zum Vorquartal. Im Sommer war die Wirtschaft noch um 0,1 Prozent geschrumpft. Wenn die Talfahrt im Schlussquartal angehalten hätte, wäre es zu einer sogenannten technischen Rezession gekommen. Wie Vujcic hält es auch Bundesbank-Präsident Joachim Nagel für möglich, dass es der EZB gelingt, die Inflation einzudämmen, ohne die Konjunktur zu sehr zu belasten.
(Reporter Marc Jones; Bearbeitet von Frank Siebelt; Redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)