- von Andrew Osborn und Guy Faulconbridge
London (Reuters) - Alexej Nawalny war der prominenteste russische Oppositionelle und Erz-Rivale von Präsident Wladimir Putin.
Nun soll er nach russischen Angaben im Alter von 47 Jahren in einer Strafkolonie gestorben sein. Die Ursache ist bislang unbekannt.
Berühmt wurde Nawalny durch Auftritte bei Anti-Regierungs-Protesten, Internet-Videos und Blogs. Unermüdlich prangerte er darin die nach seiner Auffassung enorm grassierende Korruption in der russischen Elite an und beschrieb Russland als ein von "Gaunern und Dieben" regiertes Land.
Von seinen Hunderttausenden Anhängern wurde Nawalny bewundert, ebenso wie von vielen Politikern und Unterstützern im Westen. Sie sehen in ihm einen mutigen und charismatischen Oppositionspolitiker, der bereit war, alles für ein Land zu riskieren, von dem er glaubte, dass es eines Tages frei sein könnte. Viele hofften, dass Nawalny wie einst der südafrikanische Freiheitskämpfer Nelson Mandela aus dem Gefängnis kommen und sein Land in bessere Zeiten führen würde.
Unvergessen ist Nawalnys Entscheidung, Anfang 2021 freiwillig in seine Heimat zurückzukehren, nachdem er in Deutschland wegen einer schweren Vergiftung behandelt worden war. Im August 2020 war er auf einem innerrussischen Flug zusammengebrochen. Zunächst wurde er in Russland behandelt, dann in die Berliner Charite verlegt. Es wurde eine Vergiftung mit einem Nervengift festgestellt. Putin wies Vorwürfe zurück, wonach Attentäter des russischen Geheimdienstes FSB involviert waren. "Wenn ihn jemand hätte vergiften wollen, hätten sie ihn erledigt", sagte er.
Nach seiner Rückkehr wurde Nawalny umgehend verhaftet und in mehreren Fällen zu insgesamt mehr als 30 Jahren Haft verurteilt. Der Kreml stellt Nawalny als Kriminellen dar, der sich des Betrugs, der Gerichtsmissachtung und des Extremismus schuldig gemacht hat. Nawalny, so hieß es von Seiten russischer Behörden immer wieder, sei ein Handlanger und Unruhestifter des US-Geheimdienstes CIA. Er sei darauf aus gewesen, Russland zu destabilisieren, die Behörden zu stürzen und Moskau in einen gefügigen Vasallenstaat der USA zu verwandeln.
Nawalny hat die Vorwürfe stets bestritten und als politisch motiviert bezeichnet. Er und seine Anhänger entgegneten, dass es in Wahrheit darum gehe, Kritik an Putin zu unterdrücken. Seine politische Bewegung wurde verboten, enge Mitarbeiter wurden inhaftiert oder flohen ins Ausland.
VOM ANWALT ZUM KREML-GEGNER
Geboren am 4. Juni 1976 wuchs Nawalny überwiegend in Obninsk etwa 100 Kilometer südwestlich von Moskau auf. Er machte einen Abschluss in Rechtswissenschaften und einen weiteren in Finanzwesen, arbeitete als Anwalt und verbrachte dank eines Stipendiums einige Zeit in den USA an der Eliteuniversität Yale. Kremlfreundliche Nawalny-Gegner nutzten das, um zu behaupten, er sei ein ausländischer Agent - ein Vorwurf, den er zurückwies.
Als nach der russischen Parlamentswahl 2011 in Moskau Proteste ausbrachen, nachdem Kritiker sagten, beim Wahlsieg der regierenden Partei "Einiges Russland" sei betrogen worden, erlangte Nawalny mit seinen feurigen, regierungskritischen Reden internationale Berühmtheit. Er zählte prompt zu den ersten Protest-Anführern, die festgenommen wurden.
Es folgten zahlreiche weitere Festnahmen. 2013 wurde er wegen Korruptionsvorwürfen zu fünf Jahren haft verurteilt. Das Urteil wurde jedoch kurz darauf geändert, er kam auf freien Fuß. Später 2013 kandidierte Nawalny für das Amt des Bürgermeisters von Moskau und verlor mit 27 Prozent der Stimmen gegen den vom Kreml unterstützten Kandidaten. Nawalnys Anhänger sahen in dem Ergebnis dennoch eine beeindruckende Leistung für einen Mann, der von der Berichterstattung in den staatlichen Medien faktisch ausgeschlossen war.
Nawalny richtete einen YouTube-Kanal ein, um vor allem junge Wähler online zu erreichen. Er forderte sie auf, an das zu glauben, was er das "schöne Russland der Zukunft" nannte. Es fiel ihm jedoch schwer, mit Menschen außerhalb der Großstädte warm zu werden. Auch stieß er einige Bürgerrechtler vor den Kopf, weil er an ultranationalistischen Demonstrationsmärschen teilgenommen und gegen illegale Einwanderung gewettert hatte. Einige kreideten ihn das als populistischen und nationalistischen Zug an. 2007 wurde er aus der linksliberalen Oppositionspartei Jabloko ausgeschlossen.
"RUSSLAND IST MEIN LAND, MOSKAU IST MEINE STADT"
Dennoch wuchs Nawalnys Popularität zunehmend. Nach und nach wurde er zur bekanntesten Figur in der gespaltenen russischen Opposition. Immer mehr tat er sich als einflussreicher Gegegspieler Putins hervor. Zwar forderte er diesen nie direkt an der Wahlurne heraus. Auch hatte er kein öffentliches Amt inne. Doch es fiel auf, dass Putin Wert darauf legte, Nawalny nicht namentlich zu erwähnen.
Nawalny nahm sich dagegen Putin häufig vor. Er zeigte sich internetaffin und oft lässig in Jeans gekleidet - im starken Kontrast zum konservativen Eindruck, den der ehemalige KGB-Offizier Putin abgab. Während der Corona-Pandemie bezeichnete er den Staatschef gern als "den alten Mann in seinem Bunker". Nawalny nutzte besonders die Online-Medien, um auf die nach seiner Überzeugung enorm grassierende Korruption anzuprangern. Seine Mitstreiter filmten mit Drohnen luxuriöse Residenzen von Staatsbediensteten, und nahmen deren Vermögen unter die Lupe.
Wiederholt wurde Nawalny verklagt, wegen der Organisation öffentlicher Kundgebungen festgenommen und wegen des Vorwurfs von Korruption, Unterschlagung und Betrug strafrechtlich verfolgt. Auch wurde er von Kreml-Anhängern mehrfach physisch angegriffen. Das hielt ihn aber nicht ab, mit seiner Kritik immer wieder nachzusetzen und Putin und dessen Verbündete als Autokraten zu brandmarken, die Russland auch noch in einen katastrophalen Krieg in der Ukraine geführt hätten.
Vor seiner Rückreise aus Deutschland erläuterte Nawalny, warum er nach Russland zurückwolle, obwohl er wisse, dass ihm die Festnahme drohe. "Russland ist mein Land. Moskau ist meine Stadt. Und ich vermisse es." 2011 sagte er auf die Frage nach den Gefahren, die eine Konfrontation mit dem Kreml mit sich bringen könnte: "Warum sollte ich Angst haben?"
Sollten sich die Angaben über Nawalnys Tod bestätigen, hinterlässt er seine Ehefrau Julia und zwei gemeinsame Kinder.
(Geschrieben von Christian Rüttger. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)