Zürich (Reuters) - In der Schweiz muss einer der aufsehenerregendste Wirtschaftsprozesse der letzten zwei Jahrzehnte neu aufgerollt werden.
Das Obergericht des Kantons Zürich hob das Urteil eines Bezirksgerichts im Verfahren gegen den ehemaligen Chef der Schweizer Bankengruppe Raiffeisen, Pierin Vincenz, und vier weitere Beschuldigte wegen schwerwiegender Verfahrensfehler auf und wies den Fall an die Staatsanwaltschaft zurück. Nach Auffassung des Obergerichts seien die in einem Strafverfahren zentralen Ansprüche auf rechtliches Gehör und auf eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Anklageschrift verletzt worden.
Das Bezirksgericht Zürich hatte Vincenz 2022 unter anderem wegen Betrug, Urkundenfälschung und passiver Bestechung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Im Visier der Justiz stand unter anderem eine Reihe von Firmenübernahmen, die Vincenz als Raiffeisen-Chef sowie als Präsident der Kreditkartenfirma Aduno verantwortet hatte. Der Staatsanwaltschaft zufolge war Vincenz dabei verdeckt an den Übernahmezielen beteiligt. Damit habe er einen unrechtmäßigen persönlichen Gewinn von fast neun Millionen Franken eingefahren, so die Staatsanwaltschaft.
Zudem habe er dem Institut Ausgaben belastet, für die es keinen geschäftlichen Grund gegeben habe. So habe er über 200.000 Franken in Stripclubs und Kontaktbars ausgegeben. Für Vincenz waren diese Ausgaben "geschäftsmäßig begründet". Das Verständnis, wonach praktisch alle Ausgaben einer Geschäftsperson als Spesen verbucht werden könnten, ging dem Gericht aber deutlich zu weit. In mehreren Anklagepunkten wurde der Schweizer "Banker des Jahres" 2014 indes freigesprochen. Vier weitere Angeklagte wurden für einen Teil der Tatbestände verurteilt, einer wurde vollständig freigesprochen und gegen einen weiteren wurde das Verfahren eingestellt.
Gegen das Urteil gingen die Staatsanwaltschaft, die Beschuldigten und weitere Beteiligte in Berufung. Mehrere Beschuldigte machten prozessuale Einwände gegen das erstinstanzliche Verfahren geltend und verlangten die Aufhebung des Urteils. Das Obergericht kam nun zum Schluss, dass Grundsätze zum rechtlichen Gehör verweigert worden seien. So sei einem Beschuldigten, der Deutsch nicht ausreichend beherrscht, die Anklageschrift nicht übersetzt worden. Zudem habe die "teilweise ausschweifende" Anklageschrift den gesetzlichen Rahmen gesprengt. Damit sei es den Beschuldigten erschwert worden, sich wirksam zu verteidigen.
Die Staatsanwaltschaft müsse nun die Verfahrensmängel beheben und anschließend beim Bezirksgericht Zürich eine neue Anklage erheben. Gemäß dem Beschluss des Obergerichts stehe die Gefahr einer Verjährung "nicht im Vordergrund".
(Bericht von Oliver Hirt. Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)