Kiew (Reuters) - Russland bereitet nach Angaben der Ukraine eine neue Offensive für Ende Mai oder den Sommer vor.
Sein Land werde sich darauf aber einstellen, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntag während einer zweistündigen Pressekonferenz in Kiew: "Wir werden uns auf ihren Angriff vorbereiten." Zudem habe die Ukraine einen eigenen, klaren Schlachtplan. Wichtig sei der Zusammenhalt mit den westlichen Verbündeten. Es stünden "zwei schwierige Monate" bevor, auf die ein neuer russischer Angriff folgen werde. Selenskyj sagte zudem, seit Beginn des russischen Angriffs vor zwei Jahren seien 31.000 ukrainische Soldaten getötet worden. Damit nannte die Regierung erstmals seit mehr als einem Jahr wieder eine konkrete Zahl dazu.
Selenskyj sagte, er hoffe auf ein Gipfeltreffen in der Schweiz im Frühjahr, um seine Friedensvision mit den Verbündeten zu erörtern. Der Plan solle später Russland vorgelegt werden: "Ich hoffe, dass der Gipfel in diesem Frühjahr stattfinden wird. Wir dürfen diese diplomatische Initiative nicht verlieren." Der Leiter des Präsidialamtes, Andrij Jermak, hatte zuvor gesagt, es könne eine Situation entstehen, "in der wir gemeinsam Vertreter der Russischen Föderation einladen". Russland hatte zuletzt erklärt, es sehe derzeit keine Grundlage für Friedensgespräche. Beobachtern zufolge könnte Russland darauf setzen, dass nach den Wahlen in den USA im November erneut Ex-Präsident Donald Trump an die Macht kommt und dieser dann die US-Hilfen für die Ukraine kappt.
Selenskyj sagte, er sei zuversichtlich, dass der US-Kongress umfangreiche neue Militär- und Finanzhilfen genehmigen werde. Die USA wüssten, dass die Ukraine diese binnen eines Monats brauche. Er hoffe zudem auf die Lieferung von Langstrecken-Raketen durch die Partner. Hier hat die Ukraine Deutschland wiederholt zur Lieferung von Taurus-Lenkflugkörpern aufgerufen. Die ukrainischen Anstrengungen hingen von der Unterstützung des Westens ab, sagte Selenskyj. Die Europäische Union habe nur 30 Prozent der zugesagten eine Million Munitionsgranaten geliefert.
Zu seinen Absichten in dem Krieg sagte Selenskyj, Kiew habe einen Plan, um den russischen Streitkräften entgegenzutreten. Er werde aber keine Einzelheiten preisgeben: "Es gibt einen Plan, der Plan ist klar, aber ich kann Ihnen keine Details verraten." Die Absetzung des beliebten Chefs der Streitkräfte im Rahmen der jüngsten militärischen Umstrukturierung sei Teil der Strategie. Zudem sei die Truppenrotation für die Kriegsanstrengungen von Bedeutung. Auch müsse die Ukraine ihre Reservisten besser vorbereiten. Selenskyj hatte zuvor gesagt, seine Pläne für eine Gegenoffensive im vergangenen Jahr seien "auf einem Schreibtisch im Kreml" gelandet, bevor das Vorhaben überhaupt begonnen habe. Er ließ offen, wie es zu dem Leck aus Sicht kommen konnte.
Die Zahl der getöteten ukrainischen Soldaten seit Kriegsbeginn bezifferte der Präsident auf 31.000. Andere Zahlen, etwa 300.000 oder 150.000, seien falsch. "Aber trotzdem ist das ein großer Verlust für uns." Die Zahl der Verwundeten werde er nicht nennen, da dies Russland Kriegsplanern helfen würde. Russland macht keine Angaben zu seinen Verlusten. Ein Insider hatte Reuters im Dezember unter Verweis auf Angaben des US-Geheimdienstes gesagt, auf russischer Seite gebe es mindestens 315.000 getötete oder verletzte Soldaten. Ob die von Selenskyj genannte Zahl von 31.000 stimmt, lässt sich von Reuters ebensowenig überprüfen wie Zahlen zu russischen Toten. Klar ist, dass zu Motivations- oder Propaganda-Zwecken auch falsche Zahlen genannt werden.
(Bericht von Yulia Dysa, geschrieben von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)