Berlin (Reuters) - Nach dem Scheitern des umstrittenen EU-Lieferkettengesetzes will die Bundesregierung erst nach der Europawahl einen neuen Anlauf zur Verabschiedung unternehmen.
Ihm fehle die Fantasie, wie ein neuer Vorstoß noch vor der Europawahl am 9. Juni gelingen solle, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch. Danach müsse sich erst einmal eine neue EU-Kommission bilden. Erfahrungsgemäß dauert dies Monate. "Die gute Nachricht ist: Es gibt ein Lieferkettengesetz für Deutschland, für deutsche Unternehmen", fügte der Regierungssprecher mit Blick auf das deutsche Gesetz hinzu.
Die belgische Ratspräsidentschaft hatte zuvor in Brüssel mitgeteilt, dass die nötige Mehrheit für den vorliegenden Kompromiss zwischen EU-Rat, EU-Parlament und Kommission nicht die nötige Mehrheit bekommen habe. Für eine endgültige Abstimmung im Europäischen Parlament wäre eine "qualifizierte Mehrheit" von 15 EU-Ländern erforderlich gewesen, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. In der Ampel-Regierung verhinderte aber die FDP, dass Deutschland zustimmen konnte. Deshalb unterliegen auch künftig nur Unternehmen in Deutschland den Verpflichtungen des deutschen Gesetzes.
Die Industrie begrüßte dennoch das Scheitern auf europäischer Ebene. "Wir teilen als Wirtschaft (zwar) die Ziele des EU-Lieferkettengesetzes", teilte DIHK-Präsident Peter Adrian mit. "Der vorliegende Entwurf hätte allerdings das Erreichen dieser Ziele nicht erleichtert, sondern erschwert." Denn europäische Unternehmen hätten sich angesichts der Auflagen aus einigen Gegenden der Welt aufgrund unbeherrschbarer Risiken zurückziehen müssen.
Die EU sollte die Richtlinie in dieser Form nicht mehr weiterverfolgen, forderte der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). "Der deutsche Mittelstand ertrinkt auch ohne zusätzliche Belastungen aus Brüssel in Berichtspflichten und einer Flut von Fragebögen", sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura. Ähnlich sehen das die Familienunternehmer. "Ich bin sehr erleichtert, dass nun der Weg frei ist, um eine praktikablere und effektivere Regulierung zu erarbeiten", sagte deren Präsidentin Christine Ostermann.
Die Gewerkschaft Verdi und der BUND bedauerten dagegen das Scheitern. "Es ist ein europapolitisches Desaster, dass die FDP das EU-Lieferkettengesetz auf den letzten Metern verhindert hat. Noch im Dezember hat die Bundesregierung Zustimmung signalisiert, der Verhandlungsprozess war abgeschlossen", sagte der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Die Entwicklungsorganisation Misereor sprach von einer "moralischen Bankrotterklärung".
In der Richtlinie sollten Unternehmen verpflichtet werden, etwa die Einhaltung von Menschenrechten auch bei ihren Lieferanten sicherzustellen. Angewendet werden sollten die Vorgaben auf EU-Firmen mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Konzernumsatz von über 150 Millionen Euro. Im deutschen Gesetz liegt die Grenze bei 1000 Beschäftigen. Bei Verstößen sollen bei dem EU-Projekt Strafen von bis zu fünf Prozent des weltweiten Umsatzes fällig werden.
(Bericht von Andreas Rinke, Rene Wagner; redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)