- von Klaus Lauer
Berlin (Reuters) - Führende Konjunkturinstitute sehen Deutschland am Rande der Rezession.
"Die deutsche Wirtschaft ist wie gelähmt", erklärte das Münchner Ifo am Mittwoch. "Unter Unternehmen und Haushalten ist die Stimmung schlecht und die Unsicherheit hoch." Die Ifo-Ökonomen und die Experten vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) gehen jeweils davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Anfang 2024 das zweite Quartal in Folge schrumpft und Deutschland somit in eine Rezession rutscht. Erst ab Jahresmitte dürfte es spürbar besser werden. Im Gesamtjahr erwarten die Regierungsberater aber maximal ein Mini-Wachstum und damit faktisch eine Stagnation. Das Ifo senkte seine BIP-Prognose von 0,7 auf 0,2 Prozent, die Kieler Experten kappten ihre Schätzung sogar von 0,9 Prozent auf 0,1 Prozent.
"Die Konsum-Zurückhaltung, die hohen Zinsen und Preissteigerungen, die Sparbeschlüsse der Regierung und die schwache Weltkonjunktur dämpfen derzeit die Konjunktur in Deutschland und führen erneut zu einer Winterrezession", sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser in Berlin. Eine spürbare Erholung lasse noch auf sich warten. Allerdings deute sich in den nächsten Monaten eine leichte Besserung an. "Mit dem allmählichen Wegfall der Belastungen bei Zinsen und Preisen und den Auswirkungen der höheren Kaufkraft für die Verbraucher wird sich die Wirtschaftsleistung zur Jahresmitte beschleunigen."
JOBMARKT TROTZT KONJUNKTURFLAUTE - BESCHÄFTIGUNGSREKORD 2025
Für 2025 erhöhte das Ifo seine Prognose um 0,2 Punkte auf 1,5 Prozent, während die Expertinnen und Experten aus Kiel weiter mit 1,2 Prozent Wachstum rechnen. "Insgesamt gehen wir davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt 2025 nur magere zwei Prozent über dem Niveau aus dem Jahr 2019 liegen wird", erklärte das IfW. Vor dem Hintergrund der schwachen wirtschaftlichen Dynamik zeige sich der Arbeitsmarkt recht robust. "Die Beschäftigung dürfte im laufenden Jahr noch einmal etwas zulegen, bevor sie im Zuge des demografischen Wandels auf einen Abwärtstrend einschwenkt", erklärten die Experten. Trotz der Konjunkturflaute wird die Zahl der Beschäftigten laut Ifo sogar noch von 45,9 auf 46,1 Millionen klettern, und im kommenden Jahr den Rekordwert von 46,2 Millionen erreichen. Die Zahl der Arbeitslosen steigt demnach nur von gut 2,6 auf 2,7 Millionen und sinkt im kommenden Jahr wieder unter 2,6 Millionen.
2025 NIEDRIGE INFLATION ERWARTET - KONSUM ZIEHT AN
Auch an der Inflationsfront dürfte es ruhiger werden. Die Verbraucherpreise steigen dem Ifo zufolge 2024 nur noch um 2,3 Prozent, nach 5,9 Prozent im Vorjahr. Im kommenden Jahr würde die Inflationsrate sogar auf 1,6 Prozent fallen und damit unter die Zwei-Prozent-Marke, die die Europäische Zentralbank (EZB) mittelfristig als ideal für die Konjunktur im Euroraum ansieht.
Der anhaltend hohe Fachkräftemangel wird nach IfW-Prognose auch in Reaktion auf die in den vergangenen Jahren hohe Inflation zu deutlich steigenden Löhnen führen. Mit dem erwarteten Abebben der Teuerung "werden die real verfügbaren Einkommen im laufenden Jahr erstmals nach drei Jahren wieder steigen und den privaten Konsum stimulieren".
Mit der aktualisierten Schätzung liegt das Ifo auf dem Niveau der Regierungsprognose für 2024, das IfW leicht darunter. Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte die Schätzung der Ampel-Koalition jüngst massiv von 1,3 auf 0,2 Prozent Wachstum gesenkt. Ende 2023 war das BIP bereits um 0,3 Prozent gesunken und dürfte vielen Experten zufolge auch im laufenden ersten Quartal fallen. Nach einer Faustregel von Fachleuten wäre Deutschland damit in einer technischen, also vorübergehenden Rezession.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geht davon aus, dass die Konjunktur in Deutschland 2024 um 0,3 Prozent anzieht. "Mehr als ein Mini-BIP-Wachstum ist unrealistisch", heißt es im BDI-Quartalsbericht. "Standortfragen wie die im internationalen Vergleich hohen Energiekosten, regulatorische Unsicherheiten und nicht zuletzt die hohen geopolitischen Spannungen wirken weiterhin dämpfend auf die Konjunktur in Deutschland." Besserung sei nicht in Sicht.
(Weitere Reporter: Maria Martinez, Reinhard Becker und Christian Krämer, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)