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EZB lässt sich mit Zinswende noch Zeit und lenkt Blick auf den Juni

07.03.2024
um 17:22 Uhr

- von Frank Siebelt und Reinhard Becker und Klaus Lauer

Frankfurt (Reuters) - Die Europäische Zentralbank (EZB) hält trotz der abebbenden Inflation den Zeitpunkt für die Zinswende noch nicht für gekommen und lenkt den Blick auf den Juni.

Die EZB mache gute Fortschritte in Richtung ihres Inflationsziels von zwei Prozent, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag in Frankfurt auf der Pressekonferenz nach der Zinssitzung. "Wir sind im Ergebnis zuversichtlicher, sind aber noch nicht ausreichend zuversichtlich", sagte sie. Die Euro-Wächter benötigten noch mehr Beweise, noch mehr Wirtschaftsdaten und diese kämen in den nächsten Monaten herein. "Wir werden ein wenig mehr im April wissen, aber wir werden viel mehr im Juni wissen." Und das sei wichtig, denn die EZB gehe datenabhängig vor.

Volkswirte reagierten umgehend auf die Signale in Richtung einer ersten Zinssenkung im Euroraum. Lagarde habe einen weiteren vorsichtigen Schritt in Richtung einer ersten Zinssenkung gemacht, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Sie brachte den Juni als möglichen Zeitpunkt ins Spiel, hielt sich mit Blick auf das Tempo künftiger Zinssenkungen aber bedeckt", merkte er an. Aus Sicht seines Kollegen Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, sieht die EZB noch keinen Grund zu handeln. "Noch sind die Inflationsgefahren nicht gebannt," sagte er. Solange nicht klar sei, dass die Inflation nachhaltig tief bleibe, werde die EZB keinen Schritt nach unten unternehmen. "Eine Zinssenkung dürfte deshalb erst zur Jahresmitte auf der Agenda stehen."

WÄHRUNGSHÜTER NOCH NICHT AUSREICHEND ZUVERSICHTLICH

Auf ihrem geldpolitischen Treffen entschieden die Euro-Wächter, den Leitzins bei 4,50 Prozent zu belassen. Der am Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Horten überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, bleibt weiter auf dem Rekordniveau von 4,00 Prozent. Es habe eine sehr breite Übereinstimmung darin gegeben, dass die EZB ihre Sichtweise nicht aufgrund einzelner Daten ändern werde, sagte Lagarde. Was die EZB derzeit an Daten sehe, sei noch nicht stark und dauerhaft genug, um genügend Vertrauen zu geben. "Das war die allgemein akzeptierte Meinung der Teilnehmer." Der getroffene Beschluss sei einstimmig erfolgt.

Nach einer Serie von zehn Zinsanhebungen, die im Sommer 2022 startete, hat die EZB nunmehr in den jüngsten vier geldpolitischen Sitzungen die Zinsen konstant gehalten. Die Inflation in der Euro-Zone ist inzwischen deutlich gesunken und lag zuletzt im Februar noch bei 2,6 Prozent. Das ist nicht mehr weit entfernt von der EZB-Zielmarke. Noch im Herbst 2022 hatte sie zeitweise bei über zehn Prozent gelegen. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte Ende Januar davon gesprochen, dass das gierige Biest Inflation mittlerweile gezähmt sei.

EZB-VOLKSWIRTE SENKEN INFLATIONSPROGNOSE

Die jüngsten Prognosen der EZB-Ökonomen, die der Euro-Notenbank zur Zinssitzung vorlagen, gehen inzwischen davon aus, dass im laufenden Jahr die Inflation nur noch bei 2,3 Prozent liegen wird. Noch im Dezember hatten sie 2,7 Prozent prognostiziert. Die EZB-Volkswirte setzten auch ihre Wachstumsprognosen für den Euroraum in diesem Jahr leicht nach unten. Die nächsten Projektionen werden zur Juni-Zinssitzung erwartet.

Lagarde hatte erst kürzlich gesagt, die Auswirkungen der vergangenen Schocks, die die Teuerung hochgetrieben hätten, würden verblassen. Und die straffen Finanzierungsbedingungen trügen dazu bei, die Teuerung zu drücken. Nach Einschätzung der EZB bleibt der binnenwirtschaftliche Preisdruck aber hoch, was zum Teil einem starken Lohnwachstum zuzuschreiben sei. Noch ausstehende Daten zu den diesjährigen Tarifabschlüssen in den Euro-Ländern gelten als wichtiger Faktor für eine Entscheidung, wann die EZB erste Zinssenkungen einleiten sollte.

"Wir haben bei diesem Treffen nicht über Zinssenkungen gesprochen, aber wir beginnen gerade, über ein Zurückfahren unserer restriktiven Haltung zu diskutieren", sagte Lagarde. Am Finanzmarkt haben inzwischen die Spekulationen auf rasche Zinssenkungen etwas nachgelassen, nachdem sie um die Jahreswende herum noch ins Kraut geschossen waren. Die Markterwartungen näherten sich wieder mehr den EZB-Erwartungen an, sagte Lagarde. In der jüngsten Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters waren 46 von 73 Volkswirten - das sind 63 Prozent - davon ausgegangen, dass die EZB erstmals im Juni die Zinsen herabsetzen wird und zwar um einen viertel Prozentpunkt.

(Redigiert von Elke Ahlswede. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)